© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Zeitschriftenkritik: Hohe Luft
Das Leben als großes Wagnis
Werner Olles

Die zahlreichen Facetten des Existentialismus oder der Existenzphilosophie, von Kierkegaard über Camus, Jaspers und Heidegger bis hin zu Sartre, haben heute viel von ihrer intellektuellen Strahlkraft verloren. Im Gegensatz zum Rationalismus, der davon ausgeht, daß es nichts jenseits der Vernunft gibt, befaßt sich der Existentialismus mit dem Daseinsverständnis des Menschen, ersetzt jedoch den Begriff „menschliche Natur“ durch „Situation“, während er gleichzeitig den Aufruf zum Glücklichsein mit der Lehre vom Absurden in Einklang zu bringen versucht. Wenn aber das Absurde das ist, was der Mensch als conditio humana entdeckt, scheint es, „daß es besser gelebt werden könne, wenn es jeglichen Sinnes entbehrt“ anstatt „herauszufinden, ob das Leben einen Sinn haben müsse, um gelebt zu werden“ (Albert Camus).

So verwirft der wahre Existentialismus sowohl die politischen Ideologien und Mythen des Faschismus und Kommunismus als nihilistische Versuchung in Form eines irrational im Faschismus oder rational im Kommunismus auftretenden Staatsterrorismus und wählt als Auflehnung den schmalen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen, um vor allem nicht mitschuldig zu werden am Übel einer verderbten Welt.

Die aktuelle Ausgabe (6/2013) der zweimonatlich erscheinenden Philosophiezeitschrift Hohe Luft widmet sich anläßlich des 100. Geburtstags von Albert Camus am 7. November dieses Jahres in ihrer Titelgeschichte der Philosophie des Existentialismus, jener Denkrichtung, die im 20. Jahrhundert in den Weltkriegszeiten aufblühte und mit beispielloser Radikalität nach der richtigen Lebenshaltung suchte. Sie verstand das Leben als großes Wagnis und suchte zudem einen neuen Freiheitsbegriff des Geistes und des Handelns zu kreieren. Dazu gehörte, das Leben gelebt zu haben, das man leben wollte, selbst wenn es sich später als Irrtum herausstellte. In den fünfziger Jahren zur regelrechten Lebensform stilisiert, die den Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen propagierte, lieferte der Existentialismus zwar die theoretische Grundlage für die linksradikale Studentenbewegung der Achtundsechziger und schaffte sogar den Sprung in die Popkultur, verlor damit aber viel von seiner ursprünglichen Bedeutung. Der kämpferische Kommunismus, den Sartre predigte, war weit entfernt von jener Abkehr von jeglicher Aktivität und Flucht in die Kontemplation, die Kieerkegaard, der eigentliche Begründer des Existentialismus und in seinem Gefolge Camus, der sich bereits Mitte der vierziger Jahre deutlich von dieser Philososphie distanzierte, wählten.

Ein weiterer Beitrag befaßt sich mit dem Wiener Philosophen Otto Weininger, der sich mit 23 Jahren umbrachte. Sein Buch „Geschlecht und Charakter“ gilt bis heute als ein Pandämonium des Frauen- und Judenhasses und machte den Autor, der selbst jüdischer Herkunft war, zum Mythos. Bis 1932 erschien es in 28 Auflagen und wurde trotz seiner antisemitischen Thesen von den Nationalsozialisten verboten.

Kontakt: Hohe Luft Verlag. Hoheluftchaussee 95, 20253 Hamburg. Das Einzelheft kostet 8,90 Euro, das Jahresabo 43,20 Euro.

www.hoheluft-magazin.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen