© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Unangenehme Fragen an die Spionageabwehr
NSA: In der Abhör-Affäre geraten die deutschen Geheimdienste in den Blick
Christian Schreiber

Es ist eine ziemlich peinliche Angelegenheit. Als im Sommer erste Enthüllungen über die Abhörpraktiken des amerikanischen Geheimdienstes NSA in Europa bekannt wurden, wiegelten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz schnell ab. „Nur kein Ärger mit Freunden“, schien die Devise zu lauten.

Ein paar Monate später hat sich der Verdacht erhärtet, daß gar das Mobiltelefon der Kanzlerin abgehört worden ist und dies möglicherweise vom Dach der Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin aus (JF 45/13). Während sich die Bundespolitik in heller Aufregung befindet, mehrt sich auch die Kritik am deutschen Inlandsgeheimdienst. Vor allem deshalb, weil die Affäre offenbar nicht durch eigene Erkenntnisse ans Tageslicht gekommen ist, sondern durch Recherchen des Spiegel. Der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, forderte daher, die deutschen Dienste aufzurüsten. „Wenn wir früher gewarnt werden wollen, müssen wir mehr Personal und eine bessere Technik haben“, sagte er der Rhein-Zeitung.

Der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, kritisierte im Handelsblatt nicht nur die Ausstattung des Verfassungsschutzes, sondern auch dessen Einstellung: „Wenn sie könnten, würden es alle genauso machen, auch Deutschland. Die jetzt bei uns verbreitete Vorstellung, dass irgendein Geheimdienst demokratisch regierter Länder freiwillig auf den Einsatz der besten technologischen Möglichkeiten für das Überwachen von ausländischen Politikern verzichten sollte, ist gelinde gesagt naiv.“

Politische Konsequenzen soll die Affäre erst einmal keine haben. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) steht ebensowenig zur Disposition wie der Präsident des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen. Letzterer wies am Wochenende die Kritik zurück, die deutschen Geheimdienste täten in der NSA-Affäre nicht genug für die Aufklärung. „Wir haben die Spionagevorwürfe gegen die USA von Anfang an ernst genommen und aktiv zur Aufklärung beigetragen“, sagte Maaßen der Nachrichtenagentur dpa. Bereits im Juli habe er dazu eine „Sonderauswertung“ in der Abteilung für Spionageabwehr eingerichtet. Diese prüfe seitdem die Behauptungen, die im Raum stünden. Die parlamentarischen Gremien würden kontinuierlich über die Ergebnisse informiert: „Die Prüfung ist allerdings noch nicht abgeschlossen.“

Maaßen bestritt außerdem, daß der Verfassungsschutz systematisch „befreundete“ Nachrichtendienste beobachte. „Wenn sich jedoch Anhaltspunkte für eine Spionagetätigkeit ergeben, gehen wir diesen selbstverständlich nach.“ Teilweise schien es in den vergangenen Tagen so, als könne Maaßen die Aufregung nicht wirklich verstehen. Er nannte Berlin „eine Hauptstadt der Spionage in Europa“. Es gebe kaum eine Stadt mit mehr Agenten, erzählte er kürzlich auf einer Konferenz in Potsdam. Gleichwohl kündigte der Verfassungsschutzpräsident in der vergangenen Woche an, sein Dienst wolle die Spionageabwehr im Land deutlich ausbauen.

Doch gerade an der Umsetzung dieses Vorhabens melden Experten Zweifel an. Als problematisch wird vor allem die föderale Aufteilung beurteilt. Neben dem Bundesamt haben auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Bundesnachrichtendienst (BND) sowie 16 Landesämter für Verfassungsschutz weitgehende Zuständigkeiten. Es herrscht ein Kompetenzgerangel, dem mit regelmäßigen Konferenzen entgegengewirkt werden soll. Doch in der Praxis funktioniert dies wohl kaum. „Daß die Länder im Bereich Spionageabwehr mitmischen dürfen, ist ohnehin nicht zu erklären“, kritisierte ein Nachrichtendienstler des Bundes laut Spiegel die Aufgabenteilung. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Thomas Oppermann (SPD), fordert daher ein Umdenken in Sachen Geheimdienst: „Wir brauchen eine Spionageabwehr deutscher Stellen auch gegenüber verbündeten Staaten. Dies gibt es bisher überhaupt nicht, und das ist ein Fehler. Der Verfassungsschutz muß Vorkehrungen gegen Ausspähaktionen von Partnerstaaten treffen“, sagte er dem ZDF. Beim Verfassungsschutz werde derzeit nach dem Grundsatz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist nicht nötig“ gehandelt.

Ungeklärt ist bislang allerdings auch, welche Aufgaben die Agenten des BND im Ausland genau übernehmen. Geheimdienstchef Gerhard Schindler wies den Konter aus Washington zurück, seine Behörde würde genauso handeln wie die NSA: „Aus der deutschen Botschaft in Washington wird keine Fernmelde-Aufklärung durchgeführt“, sagte Schindler und dementierte damit einen Bericht der Washington Post. Die Bild-Zeitung hatte zuvor allerdings ebenfalls berichtet, daß der BND in den Vereinigten Staaten umfangreicher als bekannt spionieren würde. „Eine Aufklärung der US-Regierung findet nicht statt. Etwaige zufällige Erfassungen durch unsere technischen Systeme werden gelöscht“, sagte Schindler. Das Blatt zitierte allerdings einen hochrangigen Mitarbeiter aus Schindlers Behörde mit den Worten: „Wir nehmen mit, was kommt.“

Anfang der Woche hatten Maaßen und Schindler Gelegenheit, mit ihren amerikanischen Kollegen direkt über die Abhör-Affäre zu sprechen. Beide waren dafür eigens nach Washington gereist.

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