© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Rechtsprechung im verborgenen
Integration: Die Sozialwissenschaftlerin Dorothee Dienstbühl wirft einen differenzierten Blick auf die islamische Paralleljustiz
Fabian Schmidt-Ahmad

Verschlossene Türen, verborgene Hinterzimmer, konspirative Verabredungen ehrenwerter Männer im juristischen Niemandsland – nicht ohne Grund erinnert das sich in Deutschland etablierende verdeckte islamische Streitschlichtungsverfahren an die Mafia. Handelt es sich doch in beiden Fällen um Personenverbände, die – vom Rechtsstaat mehr oder weniger entkoppelt – Zusammenstöße untereinander wie alle Gruppen vor ihnen nur auf zwei Arten lösen können: durch Vergeltung oder durch Schlichtung.

Doch während erstere mit ihren gewalttätigen Ausbrüchen immer wieder für Schlagzeilen sorgt, findet letztere nahezu gänzlich still im Verborgenen statt. Entsprechend groß ist die Möglichkeit für Mutmaßungen, die von der politisch korrekten Behauptung, es gäbe so etwas wie eine islamische Paralleljustiz überhaupt nicht, bis hin zur Befürchtung, das deutsche Recht besäße mittlerweile für ganze Stadtgebiete keine Gültigkeit mehr, reichen. Verdienstvoll ist daher die Arbeit der Sozialwissenschaftlerin Dorothee Dienstbühl.

In ihrem Aufsatz „Paralleljustiz in Deutschland?“ in der Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wertet sie Gespräche mit denjenigen aus, die von Amts wegen dazu angehalten sind, deutsches Recht durchzusetzen – den Polizisten. Sie gibt deren Erfahrung mit einem Rechtswesen wider, das dem deutschen Gedanken der Eigenverantwortlichkeit des einzelnen diametral entgegenläuft: „Dabei ist nicht der Wille des Individuums entscheidend, sondern das Verständnis richtiger und falscher Verhaltensweisen aus Sicht einer bestimmten Gruppe, einer Glaubens- beziehungsweise einer Kulturgemeinde.“

Aus diesem antagonistischen Verhältnis heraus kann Dienstbühl nur einen skeptischen Blick auf eine Institution werfen, die als einzige faßlich aus dem Dunkel islamischer Paralleljustiz aufsteigt: den sogenannten Friedensrichter. Bereits der Prophet Mohammed soll sich durch geschicktes Vermitteln zwischen rivalisierenden Araberstämmen einen allgemeinen Respekt erworben haben. Doch was im Zustand des Faustrechts durchaus ehrenvoll ist, wird problematisch, sobald es eine bereits etablierte Rechtsordnung zu unterminieren droht.

Auf deutsche Verhältnisse bezogen sind es Zeugen, die sich nicht mehr an ihre Aussagen erinnern können, Gewalt-opfer, die ihre Anzeigen plötzlich zurückziehen und dergleichen mehr. Übrig bleibt ein düpiertes deutsches Gericht, dessen Ansehensverlust einhergeht mit der wachsenden Autorität derjenigen, die im Hintergrund eine Einigung erzielen konnten. „In der Tat muß die Rolle solcher Vermittler und Schlichter kritisch gesehen werden“, urteilt Dienstbühl. Denn hinter jedem Fall stehen „nicht selten menschliche Schicksale, häufig von Frauen und Mädchen, die in Deutschland ein Anrecht auf Schutz haben sollten“.

Wenig Verständnis hat Dienstbühl daher für die Auffassung, es diene dem Rechtsfrieden in einer Gesellschaft insgesamt, wenn dafür in bestimmten Gebieten Rechtsverletzungen aufgrund kultureller Unterschiede hingenommen werden, weil „die Gewalt sonst noch schlimmer werden könnte“. Der Einwand, „daß Menschen mit Migrationshintergrund und Sprachbarrieren zu häufig Angst und Mißtrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden empfinden“, dürfe daher nicht einfach hingenommen werden.

Besonders eklatant wird der Konflikt anhand der im Islam praktizierten Vielweiberei offensichtlich, die für moslemische Männer meistens erst durch den deutschen Sozialstaat finanziell möglich wird. Durch die Abschaffung des Ehestandsgesetzes wurde hier ein Freiraum geöffnet, in den das islamische Rechtsverständnis vorgedrungen ist – völlig legal. Denn das macht Dienstbühl auch deutlich daß im Privaten ein Schlichter seine Berechtigung haben kann. Doch darf er nicht die Grenze überschreiten, welche ihm der Staat vorgibt. Dazu bedarf es aber eines wachsamen Staates, der bereit ist, sein Recht mit aller Härte durchzusetzen, und dessen Blick sich nicht bei jedem Moscheeverein rührselig verschleiert, weil dieser die „Kids“ von der Straße holt.

Der Artikel von Dorothee Dienstbühl zur Paralleljustiz zum Nachlesen: www.gdp.de

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