© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Freundeskreise in Not
ZDF: Eine Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht offenbart die Kungelei bei Staatssendern
Taras Maygutiak

Bundestagspräsident Norbert Lammert war nur einer unter vielen, der vor kurzem wieder einmal die Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kritisierte und auch die mit dem Rundfunkbeitrag eingetriebene Zwangsgebühren in Frage stellte. Die öffentliche Kritik wächst. Immerhin kassieren die Öffentlich-Rechtlichen jährlich 7,5 Milliarden Euro für Programme und Produktionen, die nicht alle als hochwertig bezeichnen werden können.

Und wer bestimmt überhaupt, was gesendet wird? Richtig bewußt wurde das vielen erst, als 2009 der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) dafür sorgte, daß ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender seinen Job verlor. Übrigens gegen den Willen des Intendanten und trotz Protests zahlreicher Medien, Journalisten und Verfassungsrechtler.

Der dumpfe Verdacht machte sich damals breit, daß Politiker sich im öffentlich-rechtlichen Bereich die eigene Hofberichterstattung maßschneidern. Wie ist es da um die Senderaufsicht bestellt? Die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg reichten jeweils Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein, weil sie die Gremienstruktur, die im ZDF-Staatsvertrag geregelt ist, als verfassungswidrig ansehen. Die Kläger sehen das „Gebot der Staatsferne“ verletzt.

Auch die ARD schloß sich der Argumentation an. Am Dienstag begann die mündliche Verhandlung in den beiden Normenkontrollverfahren zum ZDF-Staatsvertrag vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

Für die Leitungsorgane des öffentlichen Rundfunks gelte das „Gebot des Binnenpluralismus“ und das „Gebot der Staatsferne“, erklärte der Senatsvorsitzende und Vizepräsident des Gericht, Ferdinand Kirchhof, in der Einführung zur Verhandlung. „Das schließt eine Mitgliedschaft von Staatsvertretern in den Leitungsorganen jedoch nicht gänzlich aus“, so Kirchhof. Artikel 5 des Grundgesetzes untersage aber, den Rundfunk für staatliche Ziele zu instrumentalisieren und ihnen bestimmenden Einfluß einzuräumen. In dem Verfahren, das in Karlsruhe begann – das Urteil wird vermutlich erst 2014 verkündet – stehen in erster Linie die beiden Aufsichtsorgane des ZDF auf dem Prüfstand: der Fernseh- und der Verwaltungsrat.

Im 77köpfigen Fernsehrat stellen Bund und Länder 19 Mitglieder. Die im Bundestag vertretenen Parteien dürfen weitere zwölf Mitglieder benennen. Damit haben sie über insgesamt 40 Prozent der Stimmen des Fernsehrates. Zusammen mit den drei Vertretern der kommunalen Spitzenverbände erreichen sie circa 44 Prozent der Stimmen. „Die Frage der Staatsferne stellt sich auch, weil die Ministerpräsidenten einen Großteil der übrigen Mitglieder des Fernsehrates entweder aus Listen von Verbänden oder unmittelbar aus bestimmten Gesellschaftsbereichen auswählen können“, führte Kirchhof aus.

Zudem bedürften Beschlüsse über wichtige Fragen, zum Beispiel über die Bestellung des Intendanten, einer Drei-Fünftel-Mehrheit, die von der Gesamtheit der Staats- und Parteienvertreter verhindert werden könne. Ähnlich sieht es im Verwaltungsrat aus. „Auch hier sind Mehrheiten und Bestellungsverfahren am Maßstab der Staatsferne und des Binnenpluralismus zu prüfen“, sagte der Senatsvorsitzende.

„Wir sehen uns als Auskunftspersonen im Prozeß“, erklärte ZDF-Intendant Thomas Bellut, wie er die Rolle des ZDF im Verfahren einordne, und versicherte, daß die Unabhängigkeit gewahrt sei. „Wir sind uns der Bedeutung bewußt und überzeugt, daß es eine Stärkung des ZDF geben wird.“

Doch liegen die Probleme wirklich in den Fernseh- und Verwaltungsräten, die in den Klagen aufgeführt sind? Bellut selbst war es, der die Freundeskreise erwähnte. In diesen Kungelrunden werde keinesfalls etwas beschlossen, versuchten er und weitere Prozeßbeteiligte die Rolle dieser Grüppchen herunterzuspielen.

Für andere war das eine Steilvorlage. Plötzlich sorgte das Buch „Mein Leben mit dem ZDF“ des langjährigen ZDF-Intendanten Dieter Stolte im Gerichtssaal für Gesprächsstoff. Er spricht in dem Buch über das Thema Freundeskreise („harmlos klingender Name“) und beschreibt, wie wichtig diese seien. Von Stolte erfahren die Leser damit aus erster Hand alles über die „politischen Strukturen mit starkem Einfluß“. Ferner berichtet er von Sitzungen der CDU- und SPD-Freundeskreise, die an Vorabenden von Fernsehratssitzungen im selben Hotel abgehalten würden. Die Rede ist also von einer Praxis, die jenseits aller vom Gesetz vorgesehenen Regelung steht.

Gesine Lötzsch, die für die Bundestagsfraktion der Linkspartei in Karlsruhe war und selbst Mitglied im Fernsehrat ist, bestätigte diese Praxis. Sie habe sich entschieden, in keinem der Freundeskreise zu sitzen. Oft seien im Gremium Fernsehrat Bemerkungen wie „das haben wir doch schon vordiskutiert“ gefallen. Die Frage ist jetzt, wie oder ob das Bundesverfassungsgericht diese Freundeskreise in seinem Urteil berücksichtigen wird. Verfassungsrichter werden auch von Gremien berufen, die nicht unbedingt als staats- oder parteifern bezeichnet werden können. Möglicherweise treffen sich davor auch Freunde.

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