© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Kirchensteuer
Nächstenliebe statt Raffgier
Henning Lindhoff

Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben.“ So sprach Papst Benedikt XVI. im September 2009 vor 1.500 Gästen im Freiburger Konzerthaus.

Politische Lasten abstreifen? Die Kirche entweltlichen? Befürwortete Papst Benedikt XVI. damit gar eine grundlegende Reform des typisch deutschen Kirchensteuersystems? Schon als Kardinal Ratzinger hatte er seine Vorbehalte gegen die weltweit nirgendwo so staatsnah wie in Deutschland eingetriebene Kirchensteuer kundgetan. Im Jahr 1994 gab er in „Salz der Erde“ zu bedenken, ob die Kirche in Zukunft nicht mit einer anderen Form der Finanzierung unbefangener leben könne: „Vielleicht könnte in Zukunft einmal der Weg in die Richtung des italienischen Systems gehen, das die Freiwilligkeit festhält.“

Seine Einwände verdienen auch heute Gehör. In Deutschland leiden christliche Lohnempfänger an der drückenden Last der Kooperation zwischen Kirchen und staatlichen Finanzämtern. Die römisch-katholische Kirche darf somit pro Jahr mit rund fünf Milliarden Euro rechnen, die evangelische Kirche mit 4,5 Milliarden Euro. Mit dieser Steuer halten die Kirchen ein Zwangszahlungsinstrument in den Händen, dem das steuerzahlende, kirchentreue Individuum nicht leicht entfliehen kann, solange es nicht den Bruch mit der Kirche als Ganzes wagt und sich damit in einen tiefen Gewissenskonflikt stürzt.

Was wären die Folgen einer konsequenten Umsetzung der päpstlichen Forderungen nach Entweltlichung in steuerlicher Hinsicht? Die Kirche würde zum einen dem Schoß des Staates entfliehen. Und auch der Glaube an Gott würde gestärkt. Er sollte nicht an eine steuerliche Verpflichtung gebunden sein. Vielmehr hat er mit gemeinschaftlicher Wärme und Nächstenliebe als mit den kalten Klauen des raffgierigen Staates zu tun. Mit dem kältesten aller kalten Monster sollte sich eine auf Nächstenliebe bauende und vertrauende Kirche nicht einlassen. Dies ist jedoch ein Gedanke, mit dem sich insbesondere die evangelische Kirche in Deutschland nicht so recht anfreunden mag. Statt sich auf die Lehren Martin Luthers zu besinnen, plädieren ihre modernen, verweltlichten Anführer für den Ablaßhandel 2.0: per staatlichem Zwang eingetriebene Kirchensteuer im „Tausch“ gegen den Segen der Kirche. „Von der Kirchensteuer haben beide Seiten etwas“, sagt zum Beispiel der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge mit Blick auf das Konglomerat aus Staat und Kirche. „Die Kirchen müssen kein eigenes Verwaltungssystem aufbauen.“

Anders gedacht wird zum Beispiel im Freistaat Bayern, vor allem aber in den USA. Bayrischen Kirchenmitgliedern wird ein Prozent weniger Kirchensteuer abgepreßt als den Mitgliedern in anderen Bundesländern. Die Gemeinden werben im Gegenzug um Spenden, um weitergehende karitative Zwecke finanzieren zu können. In den Vereinigten Staaten sind die Kirchenbeiträge sogar gänzlich abgeschafft. Glaubensgemeinschaften sind dort allesamt auf Spenden angewiesen. Erpressung per Staatsknute: Fehlanzeige. Und dennoch ist der christliche Glaube an Gott immer noch tief verwurzelt und das Gemeindeleben sehr lebendig. Der Treueschwur, das „pledge of allegiance“ wird auch weiterhin bei jedem Anlaß beschworen: „Eine Nation unter Gott, unteilbar.“ Während die Zwangseintreibung einer Kirchensteuer dort auch in Zukunft undenkbar erscheint.

Könnte die freiwillige Entrichtung eines Mitgliedsbeitrags nicht auch ein verheißungsvolles Modell für deutsche Gefilde darstellen? Oder ein Ticketmodell? Ein Abo-Modell? Kritiker werden einwenden, kapitalistische Preisbildungsmechanismen in der Kirche seien profan und nicht angemessen.

Doch sie verkennen eines: Jede Art von Zwang wirkt sich immer negativ auf die Gemütsverfassung der Menschen aus. Auch in Gotteshäusern. Kirchenmitglieder würden ein sehr viel besseres Gefühl dabei haben, freiwillig zu spenden. Ist es nicht auch der wahre Kern der Nächstenliebe, aus voller subjektiver Überzeugung heraus zu geben anstatt einem vermeintlich objektiven Kollektivwillen zur Wohltätigkeit zu folgen? Ich bin überzeugt: In einem Modell der Freiwilligkeit wären viele Kirchenmitglieder letzten Endes auch zu höheren Spenden bereit.

Denn gerade diese sind der Kirche auch weiterhin zu gönnen. Wie sonst soll sie ihre zahlreichen karitativen Leistungen und Einrichtungen finanzieren, wenn nicht über Mitgliedsbeiträge? Es wäre nicht zu verzeihen, wenn auch der letzte noch wettbewerbsfähige Konkurrent des allumfassenden Sozialstaates im Zuge einer gänzlichen Aufhebung von Kirchensteuern die Segel streichen müßte.

 

Henning Lindhoff, Jahrgang 1982, war früher Sozialarbeiter und ist heute stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Eigentümlich frei.

Angesichts des „Lehrstücks von Limburg“ (Peter Seewald) ist die Kirchensteuer wieder ins Gerede gekommen. Je nach Bundesland ziehen die Steuerbehörden acht bis neun Prozent der Lohn- und Einkommensteuer ab. Drei Prozent davon behalten sie als Aufwands-entschädigung ein. Der Rest wird an die Empfänger weitergeleitet.

Der Publizist Seewald sieht die katholische Kirche in „Erstarrung, aufrechterhalten von staatlicher Alimentation statt von der Kraft des Glaubens“. Sind es womöglich nicht bloß die liturgischen Experimente einer „grauenhaften Avantgarde“ (Mat­thias Matussek) oder die sinkenden Mitgliederzahlen, die die „Verwaltungskirche ... müde, ausgezehrt, lahm und langweilig“ (Seewald) erscheinen lasse, sondern auch die bequemen finanziellen Polster, wie manche meinen? Die Kirche habe sich „von ihrem Auftrag entfernt“, so der Vertraute des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Würde es ihrer Sendung guttun, wenn sie nicht auf automatisiert eingetriebene Mittel zurückgreifen könnte?

Eindeutig ja, findet Henning Lindhoff, Redakteur der libertären Zeitschrift Eigentümlich frei. Das deutsche Kirchensteuermodell hat sich bewährt und dient allen, aber Geld ist kein Selbstzweck, hält der Kirchenrechtler und Priester Stefan Mückl dagegen.

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