© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Jenseits der Schuldfrage
NSU-Prozeß: Anwälte der Nebenklage versuchen das Verfahren zu einem politischen Schauprozeß zu machen
Hinrich Rohbohm

Die Arme demonstrativ vor der Brust verschränkt, die Beine lässig vom Stuhl weggestreckt, in den er sich weit zurückgelehnt hat. Die Körperhaltung des Zeugen Frank L. vor dem Staatsschutzsenat des Landgerichts München signalisiert seine ablehnende Haltung, die Verachtung, die er diesem Land, der Bundesrepublik Deutschland entgegenbringt. Der großgewachsene, breitschultrige Mann hat seinen Kopf kahlgeschoren, trägt einen schwarzen Kapuzenpulli.

Er stammt aus der rechtsextremistischen Szene, hatte in den neunziger Jahren in Jena zusammen mit seinem Geschäftspartner Andreas S. einen Infoladen betrieben, das Madley. Sie verkauften Schuhe, Jacken, Aufnäher, indizierte Musik, einschlägige Devotionalien der Szene. Auch Waffen?

L. verneint. „Da wurde mal nach Schreckschußpistolen gefragt.“ Von wem, wisse er nicht mehr. Überhaupt kann sich L. an kaum etwas erinnern. Schon gar nicht an den Verkauf einer Ceska. Jener tschechischen Pistole vom Typ CZ 83 mit Kaliber 7,65 Millimeter, die inklusive Schalldämpfer nach Auffassung der Bundesanwaltschaft im Madley über die Ladentheke gegangen sein soll. Laut Anklage an den Beschuldigten Carsten S., der die Waffe im Auftrag von Ralf Wohlleben dort besorgt haben soll. Jene Waffe, mit der Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) neun Menschen erschossen haben sollen.

In seinen Aussagen bleibt L. vage. „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, gibt er etwa von sich. Er gibt an, vieles nicht zu wissen. „Das ist alles schon so lange her, nuschelt der 40jährige immer wieder in seinem nicht immer leicht zu verstehenden thüringischen Dialekt. Ob er André E. kenne, will ein Nebenkläger-Anwalt von ihm wissen. Der gelernte Kfz-Mechaniker schaut hinüber zum Angeklagten. Beide grinsen sich kurz an. Dann verneint L. die Frage. Einige Verfahrensbeteiligte wollen hingegen beobachtet haben, wie L. sich während Verhandlungspausen mit E. unterhalten habe. Tatsächlich sucht L. während seiner Vernehmung immer wieder den Blickkontakt zu E., der diesem jedoch ebenso ausweicht wie Ralf Wohlleben. Beate Zschäpe hingegen zeigt sich auffällig interessiert an den Aussagen von L.

Während der Vernehmung von Opfer-Angehörigen hatte sie sich betont desinteressiert präsentiert, spielte mit ihrem Laptop oder witzelte mit ihrem Verteidiger. Während der Aussage von L. bleibt ihr Computer die meiste Zeit geschlossen. Aufmerksam blickt sie in Richtung des Zeugen, der inzwischen entspannt ein Bein über das andere gelegt hat, während er seinen Fuß fast schon auf dem vor ihm stehenden Tisch abgelegt hat. „Könnten Sie eine etwas weniger bequeme Sitzhaltung einnehmen“, zeigt sich Richter Götzl vom wortkargen und provokanten Auftritt des Zeugen genervt. In seinen Aussagen ist er so ungenau, daß Götzl ihn energisch darauf hinweist, daß er sich mit dem bewußten Verschweigen von verfahrensrelevanten Vorkommnissen strafbar mache. Doch nicht nur der Zeuge stellt die Geduld des Richters auf die Probe. Auch manche Vertreter der Nebenklage scheinen aus dem Verfahren einen politischen Schauprozeß machen zu wollen.

Einer von ihnen ist der Rechtsanwalt Alexander Hoffmann aus Kiel. Der bekennende Antifa-Jurist pflegt enge Kontakte zur linksextremen Szene, hatte bereits vor einigen Jahren erfolgreich die „Militante Gruppe“ verteidigt, der seinerzeit zur Last gelegt worden war, Bundeswehr-Fahrzeuge in Brand gesetzt zu haben. Mehrfach hatte sich Hoffmann der linksextremen Szene für Interviews zur Verfügung gestellt. Der Internet-Auftritt seiner Kanzlei verweist auf einen Link der linksextremen Roten Hilfe.

Am 4. Oktober 2011, vier Wochen vor dem Auffliegen des NSU, nahm er gemeinsam mit dem linksextremen Pfarrer Lothar König und der Anwältin des Bündnisses „Dresden nazifrei“, Kristin Pietrzyk, als „sachkundiger Gast“ an einer Besprechung der thüringischen Landtagsfraktion der Linkspartei teil. Thema: die angebliche Kriminalisierung der politischen Linken. Die Aussage des sächsischen Innenministers Markus Ulbig, daß die Gewalt gegen Polizisten drastisch zunehme, sowie die Feststellung des sächsischen Landeskriminalamtschefs Rolf Michaelis, daß politisch motivierte Gewalt von links ebenfalls stark zugenommen habe hatte die Linkspartei offenbar unter Zugzwang gesetzt.

Hinzu kam der Vorstoß von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, auch Initiativen für den Kampf gegen Linksextremismus mit Bundesmitteln fördern zu wollen. Gelder im Kampf gegen Rechtsextremismus wolle sie nur dann noch freigeben, wenn an den jeweiligen Projekten keine Linksextremisten beteiligt sind. Entsprechend heftig fielen die Reaktionen aus. Vier Wochen später erfolgte die spektakuläre Aufdeckung des NSU. Die Linkspartei, Pfarrer König und Rechtsanwalt Hoffmann sahen sich in ihren Auffassungen bestätigt, daß der Staat engagierter gegen Rechtsextremismus vorgehen müsse, statt Linke zu „kriminalisieren“.

Nach Richter Götzl nimmt auch Hoffmann den Angeklagten ins Verhör, versucht mit Suggestivfragen, den wenig kooperativen Zeugen aus der Reserve zu locken. Daß es ihm dabei nicht nur um die Klärung der Schuld geht, daraus macht der Jurist keinen Hehl. Damit steht er unter den Nebenklägern ganz offensichtlich nicht allein.

Schnell kommen dem Gericht Zweifel, ob Hoffmanns Fragen tatsächlich verfahrensbezogen sind. Götzl sieht sich schließlich genötigt, einzuschreiten. „Sie machen dem Zeugen einen Vorhalt, ohne das deutlich zu machen, das geht so nicht.“ Hoffmann widerspricht, wird laut, schreit den Richter an. Der blafft zurück, schlägt mit der Faust auf den Tisch, unterbricht genervt die Verhandlung. Aus dem NSU-Verfahren wird eine politische Demonstration. Gemeinsam mit der Frankfurter Rechtsanwältin Elif Pinar stellt Hoffmann dem Zeugen weitere Fragen, will Namen aus der Szene erfahren. Auch über Personen, die mit dem Verfahren nichts zu tun haben. Ein Vorgehen, über das sich neben der Verteidigung selbst die Bundesanwaltschaft beschwert. „Die Fragen der Nebenklage sind in keiner Weise verfahrensrelevant“, erklärt einer der Bundesanwälte.

Ebenfalls als Nebenkläger-Anwältin mit von der Partie ist Angelika Lex. Sie ist die Ehefrau des ehemaligen grünen Stadtratsfraktionsvorsitzenden von München, Siegfried Benker. Über das Ticket der grünen Landtagsfraktion in Bayern wurde Lex zur Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof bestellt, übte dieses Amt bis 2003 aus. Auf einem Demonstrationsaufruf der Antifa anläßlich des NSU-Prozeßbeginns ist sie als Unterstützerin aufgeführt. Ebenfalls zu Prozeßbeginn hatte die Antifa-Gruppe „autonome Antirassist_innen“ einen Anschlag auf die Kölner Staatsanwaltschaft verübt. In ihrem Bekennerschreiben behauptet die Gruppe, die Staatsanwaltschaft sei bei ihren Ermittlungen zum mittlerweile dem NSU zur Last gelegten Nagelbombenanschlag in der Keupstraße „rassistisch“ vorgegangen, weil sie nach dem Anschlag zunächst von einer Milieutat ausgegangen war. Es ist Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der eine Nebenklägerin aus der Keupstraße beim NSU-Prozeß vertritt.

Auch bei der Vernehmung des leitenden Polizeidirektors von Thüringen, Michael Menzel, ist es die Nebenklage, die Zweifel an den behördlichen Ermittlungen zu schüren versucht. Er leitete die Ermittlungen in Eisenach nach dem Auffliegen des NSU. Hat die Polizei etwas vertuscht? Begingen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November in einem Wohnmobil in Eisenach wirklich Selbstmord? Oder wurden sie von einer dritten Person getötet? „Dazu gibt es keine Hinweise“, sagte Menzel vor Gericht.

Bei einem anderen Punkt ist er weniger deutlich. Wann wurden die beiden identifiziert? Mundlos habe er bereits am 4. November durch dessen Fingerabdrücke ermittelt, die das Bundeskriminalamt in einer Datenbank gespeichert habe, sagt er nach mehrmaligem Nachfragen. Die offizielle Identifikation der beiden durch die Gerichtsmedizin lag indes erst am 5. November vor. Ein Punkt, der nebulös bleibt. Und nicht nur unter den Nebenklägern Spekulationen darüber auslöst, ob die Ermittlungsbehörden Informationen zurückhalten. Auch Menzels Antwort auf die Frage, wann er einen Thüringer Verfassungsschützer kontaktierte, ruft Irritationen hervor. Menzel sagt, er habe den Geheimdienstler erst am 5. November kontaktiert. Der Verfassungsschützer hatte zuvor jedoch von einem Anruf vom 4. November gesprochen.

Foto: Gerichtssaal in München: Manche Anwälte schüren Zweifel an den Ermittlungen der Polizei

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