© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Grüße aus Madrid
Es stinkt zum Himmel
Michael Ludwig

Antonio ist groß, stämmig, und, soweit wir wissen, kerngesund. Nur seine Bronchien machen ihm sichtlich zu schaffen. „Jetzt, da der Winter kommt, beginnt wieder meine große Leidenszeit, denn dann ist die Luftverschmutzung besonders heftig“, sagt er mit einem süßsauren Lächeln. Der 40jährige Elektriker lebt in Madrid, und wenn es kalt wird, werfen die Bewohner der spanischen Hauptstadt ihre Öfen an und heizen, was das Zeug hält. Das beschert ihnen zwar warme Wohnungen, aber auch eine höchst ungesunde Luft. Straßenverkehr, Industrie, Kraftwerke, Raffinerien und Müllverbrennungsanlagen steuern das ihre dazu bei, daß sie zum Schneiden ist.

In ihrem diesjährigen Bericht hat die Umweltschutzorganisation „Ecologistas en Accion“ alarmierende Zahlen vorgelegt. Sie wies darauf hin, daß nach den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 44,1 Millionen Spanier verschmutzte Luft einatmen. Das sind sage und schreibe 94 Prozent der Bevölkerung. Besonders betroffen sind neben Madrid die Großstädte Barcelona und Valencia.

Sevilla konnte seine Luftqualität spürbar verbessern, denn dort sind 30 Prozent aller Autofahrer aufs Fahrrad umgestiegen. Das ist allerdings weniger einer geläuterten Einsicht zu verdanken, denn für viele Andalusier ist der Umweltschutz eher ein ferner Gedanke, als vielmehr der herrschenden ökonomischen Krise – Autofahren ist auf der Iberischen Halbinsel inzwischen teuer geworden.

„Rund 20.000 Spanier könnten heute noch leben, wenn sie nicht eine derart vergiftete Luft hätten einatmen müssen“, erklärten die Sprecher der „Ecologistas“, Mariano Gonzalez und Juan Barcena, nun in Madrid. Gleichzeitig kritisierten sie die politischen Verantwortlichen: „Weder die Regierungen in den Provinzen noch die Zentralregierung haben geeignete Vorkehrungen getroffen, um mit diesen schwerwiegenden Problemen fertig zu werden.“

Eine Smog-Untersuchung in Madrid und Barcelona hatte vor einiger Zeit ergeben, daß dort Spuren von Kokain, Amphetaminen, Opiaten, Cannabis und LSD durch die Luft schwirren, deren Konzentration am Wochenende deutlich zunimmt. Ist das der Grund, weshalb die Spanier die Krise relativ gelassen wegstecken?

Für Antonio ist das nur ein schwacher Trost. „Ich wäre noch viel besser drauf, wenn ich wieder problemlos atmen könnte“, meint er.

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