© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Im Würgegriff der Aufständischen
Libyen: Hochgerüstete Milizen setzen Politik und Wirtschaft des Ölstaats unter Druck
Günther Deschner

Berichte über tagelange Gefechte verfeindeter Milizen in der Hauptstadt Tripolis, bei denen auch Maschinenwaffen und Flugabwehrgeschütze eingesetzt wurden, Meldungen über besetzte Ölfelder und blockierte Verladehäfen wie Marsa Hariga bei Tobruk und der Erdölhafen von Brega machen deutlich, daß die Lage in Libyen mehr und mehr eskaliert. Staatliche Verbände und schwer bewaffnete Milizen – und diese auch unter sich – liefern sich fast täglich Kämpfe.

Fast alle Milizen lehnen die von der Regierung geforderte Entwaffnung ab. Vielmehr gelten sie als größte Bedrohung der Stabilität des seit dem Sturz und dem Tod des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Oktober 2011 etablierten demokratischen Regimes.

Bewaffnete Gruppen kontrollieren weite Teile des Landes. Reuters-Korrespondent Patrick Markey schätzt, daß „mehr als 200.000 Libyer in Dutzenden Milizen dienen, von denen sich nur noch wenige unter wenigstens nomineller staatlicher Kontrolle befinden“. Auf ihr Konto gingen nicht nur Angriffe auf religiöse Einrichtungen konkurrierender Glaubensrichtungen und auf westliche Botschaften, sondern auch Übergriffe auf Zivilisten und die Belagerung von Ministerien, resümierte bereits im Juli das European Union Institute for Security Studies (EUISS). Sie hätten sich inzwischen zum größten Sicherheitsproblem des Landes entwickelt; es müsse in der Tat von einer „Implosion des libyschen Sicherheitssektors“ und der „Erosion des Staates“ gesprochen werden.

Die Übergangsregierung von Ministerpräsident Ali Seidan ist weitgehend machtlos. Sie ist noch nicht zusammengebrochen, hat aber Schwierigkeiten, das Land zu kontrollieren. Währenddessen nimmt der starke Einfluß, den die zahllosen, teils miteinander konkurrierenden Milizen inzwischen besitzen. Der Entwaffnung verweigern sie sich ebenso wie der Einbindung in die offizielle Armee. Dabei unterscheiden sich die Milizen in ihrer Ausrichtung: Während einige sich aus Stämmen gebildet haben, manche islamistischen Kräften unterschiedlicher Ausprägung nahestehen, vertreten andere regionale Interessen oder streben die Zerlegung des libyschen Staates in seine drei Hauptregionen an, aus der er 1911 von der Kolonialmacht Italien zusammengestoppelt worden war: Tripolitanien im Westen, Cyrenaika im Osten und Fezzan im Süden.

Besonders betroffen ist auch die Ölförderung. Seit Monaten haben Milizen Ölförder- und Verladeanlagen in den Häfen blockiert. Ihnen geht es um Geld – und immer lauter auch um politische Forderungen: Sie setzen damit die Regierung im letzen Bereich unter Druck, in dem sie bisher über Machtmittel verfügte, in jenem der staatlichen Finanzen. Libyen lebt so gut wie ausschließlich von seinen Erdöleinnahmen.

Beispielhaft ist der Fall von Ibrahim al-Jathran, der seit Wochen mit seiner Miliz den Erdölhafen von Brega und andere Verladestationen sperrt – was die Regierung bisher über fünf Milliarden Dollar an verlorenen Exporten gekostet hat. Da er die Rebellen gegen Gaddafi unterstützt hatte, bekam er „danach“ das Kommando über die bewaffneten „Petrol Security Guards“, Erdöl-Sicherheitswächter. Doch im Juli brach er „mit Tripolis“ – und besetzte die Erdölhäfen. Reuters-Journalisten erklärte Al-Jathran, er wolle „für die Autonomie der Cyrenaika“ kämpfen. Die „korrupten Politiker von Tripolis“ würden das Erdölgeld „stehlen“. Er forderte zudem, die historische Dreiteilung Libyens wieder einzuführen.

Aber auch kleinere Milizen sind in dieser Richtung aktiv: Berber etwa belagern das Terminal von Mellitah. Sie fordern die Anerkennung als Minderheit und mehr Sitze in der Verfassungsversammlung. Eine Tuareg-Gruppe besetzte die Sharara-Ölfelder bei Obari im westlichen Fezzan. Sie fordern libysche Personalausweise für sich und ihre Landsleute. Der Erdölminister Abdulbari al-Arusi mußte hinfliegen und verhandeln – mit Erfolg. Welche Zugeständnisse er machte, sagte der Minister nicht.

Nachdem der Osten Libyens bereits vor einem Jahr eine Teilunabhängigkeit erklärt und nun auch eine Regierung mit Ministern eingesetzt hat, folgte kürzlich auch der Süden Libyens mit einer ähnlichen Erklärung: Fezzan gab die teilweise Loslösung von Tripolis bekannt.

Auch für Deutschlands Erdölwirtschaft führten die Ereignisse in Libyen zu Behinderungen. Die deutsche BASF-Tochter Wintershall räumte anhaltende Schwierigkeiten ein. Demnach ist es der Firma auch zwei Jahre nach dem Sturz der Regierung von Muammar al- Gaddafi immer noch nicht gelungen, das Niveau der Produktion aus der Zeit vor dem Umsturz wieder zu erreichen. Lag die Förderung im Jahr 2010 noch bei 100.000 Barrel pro Tag, so erreichte sie nach einem Stillstand im Frühjahr 2011 letztes Jahr nur 85.000 Barrel pro Tag; im zweiten Quartal 2013 sank sie wieder auf gut 73.000. Der Wintershall-Vorstand Rainer Seele fand angesichts der Entwicklung die diplomatische Formulierung, Wintershalls Ölförderung in Libyen unterliege „noch immer gewissen Schwankungen, da sie von der Verfügbarkeit der Exportinfrastruktur im Land abhängt.“

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