© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

CD-Kritik: Grete Sultan
Schach und Krach
Sebastian Hennig

Grete Sultan, 1906 in eine großbürgerliche jüdische Berliner Familie hineingeboren, war eine Pianistin am Beginn einer europäischen Karriere, als sie 1940 mit einem der letzten Flüchtlingstransporte in die USA gelangte. Die Herausgabe der jetzt vorliegenden schönen Einspielungen, virtuos ohne ausgestelltes Virtuosentum, verdanken wir wohl vorrangig dem Umstand, daß sie in New York mit dem Avantgarde-Heiligen John Cage ihren bevorzugten Schachpartner fand und dann ihrerseits zur bevorzugten Interpretin von dessen mehrdeutig unbestimmter Klavierliteratur wurde. Die vier CDs dieser Edition sind übertitelt mit „Barock“ (allein Bach: Goldberg-Variationen), „Klassik“ (allein Beethoven: Diabelli-Variationen, Sechs Bagatellen), „Romantik“ (Schubert, Schumann) und die letzte nicht etwa „Moderne“, sondern ganz sachlich „20. Jahrhundert“. Darauf zu hören sind Werke unter anderem von Schönberg, Copland und Cage.

Grete Sultan spielt einfach und wissend. Das Werk steht hier ganz klar im Mittelpunkt eines mühelos wirkenden Bemühens. Es klingt, als hätte Sultan sich das nicht erarbeiten müssen, sondern einfach nur erinnert. Sicher gibt es empathischer klingende Einspielungen, zumal der romantischen Werke. Oft aber ist diese Entrückung gespielt und forciert. Hier spielt eine gewaltsam ihrem Ort Entrückte seltsam trocken.

Grete Sultan, Piano Seasons Wergo, 2013

www.wergo.de  
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