© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Die Weiche zum Krieg gestellt
Vor 150 Jahren annektierte Dänemark mit seiner „Novemberverfassung“ das Herzogtum Schleswig
Matthias Bath

Nicht erst seit dem Vertrag von Ripen von 1460 („Up ewig ungedeelt“) war die staatsrechtliche Situation der Herzogtümer Schleswig und Holstein kompliziert und unübersichtlich. Solange dänischer Absolutismus und ständeherrschaftliche Elemente in den Herzogtümern politisch prägend waren, hatte dies jedoch keine weiteren Folgen.

1815 wurde Holstein Mitgliedsstaat des Deutschen Bundes und der dänische König als Herzog von Holstein zugleich deutscher Bundesfürst. Schleswig mit seiner nach Norden hin stärker werdenden dänischen Minderheit blieb wie schon seit dem Mittelalter dänisches Lehen und gehörte nicht zum Gebiet des Deutschen Bundes. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bewegte sich hier die deutsch-dänische Sprachgrenze allmählich nordwärts. Seit Mitte der dreißiger Jahre wurde diese Sprachfrage von dänisch gesinnten Kreisen in Kopenhagen aufgegriffen.

Seitens Dänemarks wurde nun versucht, die verschiedenen Reichsteile enger zusammenzuschließen. Zugleich begann sich von Kiel ausgehend eine holsteinische Aversion gegen die Kopenhagener Zentralmacht zu entwickeln, die schließlich auch auf Schleswig übergriff. Dieser schleswig-holsteinische Regionalismus wurde mit der Zeit immer deutscher, weil er sich aus dem Gegensatz zu einer dänischen nationalen Ideologie entwickelte, die Schleswig dem dänischen Staat einverleiben wollte. Über den Sprachenstreit entwickelten sich zugleich auch einander ausschließende nationale Identitäten in Schleswig.

Als 1848 in Kopenhagen die Ausarbeitung einer gemeinsamen Verfassung für Dänemark und Schleswig beschlossen wurde, führte dies in Schleswig-Holstein zum Aufstand. Dort verlangte man die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund und die Gewährung einer schleswig-holsteinischen Verfassung. Dänemark hatte diesen Aufstand erst 1850 militärisch niedergeschlagen. Politisch hatte der Krieg für Dänemark nur die Abspaltung der Herzogtümer verhindert, aber keines der zum Aufstand führenden staatsrechtlichen Probleme gelöst.

Darüber hinaus hatte die schleswigsche Frage nunmehr eine internationale Dimension bekommen und konnte nicht mehr als innere Angelegenheit Dänemarks behandelt werden. Im zweiten Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852 sicherte Dänemark den europäischen Großmächten zu, Schleswig nicht enger an sich zu binden als Holstein und Lauenburg. Es sollte eine Verfassung ausgearbeitet werden, die der Dreigliedrigkeit der dänischen Monarchie Rechnung tragen würde. Sowohl der dänische Reichstag als auch die Stände der Herzogtümer sollten bei der Ausarbeitung mitwirken.

Aber auch nach 1852 blieben die Elbherzogtümer ein neuralgischer Punkt der europäischen Politik. Die Tendenz der dänischen Nationalbewegung bestand darin, die Herzogtümer entgegen den internationalen Verpflichtungen Dänemarks durch Übernahme der Gesetzgebung und der Haushaltshoheit nach und nach in den dänischen Staat einzugliedern. Die dänischen Nationalliberalen, die unter Ministerpräsident Carl Christian Hall 1857 wieder die Regierung in Kopenhagen übernommen hatten, hofften nach den Niederlagen der als Schutzmächte Deutschlands angesehenen Großmächte Rußland im Krimkrieg (1853–56) und Österreich im Italienischen Einigungskrieg (1859) gegen die liberalen Westmächte Frankreich und England erneut, Schleswig nunmehr an Dänemark anschließen zu können.

Am 30. März 1863 ließ die Regierung Hall König Frederik VII. ein Dekret verkünden, das Holstein und Lauenburg Selbstverwaltung versprach, während Schleswig mit dem Königreich vereint werden sollte. Gegen diesen Bruch vertraglicher Zusagen Dänemarks beschloß der Deutsche Bund am 1. Oktober 1863 die Bundesexekution gegen den dänischen König als Landesherren der deutschen Herzogtümer Holstein und Lauenburg. Das beeindruckte die Nationalliberalen in Kopenhagen jedoch nicht weiter: Die Regierung Hall legte den Entwurf einer gemeinsamen Verfassung für Dänemark und Schleswig vor.

Diese „Novemberverfassung“ wurde am 13. November 1863 vom dänischen Reichstag verabschiedet. Zwei Tage später starb Frederik VII., noch bevor er die neue Verfassung hatte unterzeichnen können. Am 18. November 1863 unterschrieb der neue König Christian IX. unter Hintanstellung eigener Bedenken die „Novemberverfassung“.

Er ahnte, daß Dänemark angesichts der Rechtswidrigkeit seines Vorgehens kaum auf Unterstützung seitens der europäischen Großmächte hoffen durfte. Diese intervenierten dann auch am 20. Dezember 1863 in Kopenhagen und verlangten die Rücknahme der „Novemberverfassung“. Die Regierung Hall, die nun vor den Trümmern ihrer Außenpolitik stand, trat daraufhin zurück. Am 24. Dezember 1863 rückten sächsische und hannoveranische Truppen in Holstein ein, das von den Dänen bis Anfang Januar 1864 kampflos geräumt wurde. Nachdem Dänemark am 16. Januar 1864 ein preußisch-österreichisches Ultimatum zur Aufhebung der „Novemberverfassung“ abgelehnt hatte, überschritten am 1. Februar preußische und österreichische Truppen die Grenze nach Schleswig, womit der Deutsch-Dänische Krieg von 1864 begann.

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