© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Nur eine verhaßte Despotie Napoleons
Im November 1813 löste sich das Großherzogtum Berg auf
Mario Kandil

Vom Modellstaat blieb am Ende nicht viel. Dabei hatte sich Napoleon I. so viel vom Großherzogtum Berg versprochen, als er 1806 diesen Kunststaat schuf. Noch vor dem 1807 zusammengeflickten und seinem jüngsten Bruder Jérôme übertragenen Königreich Westfalen (JF 39/13) sollte Berg die école normale der Mitgliedsstaaten des am 12. Juli 1806 gegründeten Rheinbunds werden. Das leuchtende Vorbild Bergs, in dem die Grundsätze napoleonischer Staatsgestaltung zur Geltung kommen sollten, hatte die Rheinbundstaaten zur Nachahmung zu animieren, womit Napoleon die Einheitlichkeit seines „Grand Empire“ fördern wollte.

Doch nur sieben Jahre später fand das Großherzogtum ein wenig rühmliches Ende. Als Folge von Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig flüchteten die französischen Staatsbeamten mit der bergischen Staatskasse. Am 10. November 1813 trafen in Bergs Hauptstadt Düsseldorf Kosaken ein, denen weitere verbündete Truppen folgten.

Nachdem Maximilian I. Joseph, Bayerns König von Napoleons Gnaden, am 15. März 1806 sein Herzogtum Berg im Tausch gegen Ansbach an Napoleon abgetreten hatte, übertrug der es zusammen mit dem zuvor preußischen Herzogtum Kleve auf seinen Schwager Joachim Murat. Als Joachim I. sollte der Marschall von Frankreich aus zwei Jahre lang herrschen, bis der Franzosenkaiser ihn am 15. Juli 1808 zum König von Neapel „beförderte“.

Wie wichtig für Napoleon die Vorbildfunktion Bergs war, zeigt sich auch daran, daß er die Regierung und Verwaltung des Modellstaats entweder engen Verwandten – nach Murat war es 1809 bis 1813 sein unmündiger Neffe Napoléon Louis, für den der Kaiser selbst die Vormundschaftsregierung ausübte – oder sich persönlich vorbehielt (1808 bis 1809). Zu seinem Vertreter in Berg bestellte Napoleon mit dem routinierten Verwaltungsfachmann Jacques Claude Beugnot einen Kaiserlichen Kommissar. Ihm, der 1808 bis 1813 tätig war und mit der Zeit Sympathie für die Landesbewohner entwickelte, war mit Staatsrat und Senator Pierre-Louis Roederer noch ein eigener Staatssekretär für Berg mit Sitz in Paris übergeordnet.

Für die Mehrzahl der Menschen in Berg bedeutete Frankreichs Fremdherrschaft einen oft eklatanten Bruch mit althergebrachten Lebensweisen, Verhältnissen und Institutionen. Speziell in wirtschaftlicher Hinsicht brachten ihnen die neuen Herren Nachteile und Verluste, die im wesentlichen aus Napoleons gegen seinen Hauptfeind Großbritannien gerichteter Kontinentalsperre resultierten. Absatzrückgang und Arbeitslosigkeit ließen den Unmut im Großherzogtum Berg mit der Zeit immer stärker ansteigen und eine unorganisierte Opposition entstehen.

Doch auch die Truppenaushebung (Konskription), mit der Napoleon aus dem Land weiteren Nutzen für seine diversen militärischen Unternehmungen ziehen wollte, stieß bei der Bevölkerung auf massive Ablehnung und verschärfte den Volkswiderstand. Höchster Grad dieser Opposition waren die speziell 1813 vermehrt auftretenden Aufstände, die zuerst noch mit militärischer Gewalt, Ende 1813 aber gar nicht mehr niedergeschlagen werden konnten.

Die schwerste dieser Revolten war die von Ende Januar/Anfang Februar 1813. Sie brach im stark industrialisierten und daher von der Kontinentalsperre extrem hart getroffenen Rheindepartement aus und dehnte sich rasch aus. Der Aufstand wurde von Arbeitern, Bauern und Wehrpflichtigen getragen, allerdings nahmen auch marodierende Banden an den Exzessen teil. Zuletzt mußte der Aufstand gewaltsam unterdrückt werden.

Auch Berg blieb von den Befreiungskriegen nicht verschont, die allgemein als Gegenbewegung gegen die französische Fremdherrschaft gewertet werden müssen. Trotzdem ist zu sehen, daß die Erhebung im Bergischen nicht mit der in Preußen gleichgesetzt werden kann. Bei der bergischen Erhebung fehlte eine sie unterstützende Obrigkeit. Auch hatten Bergs Aufständische keine militärische Organisation, wie es sie in Preußen mit Freikorps, Landwehr und Landsturm gab, ganz zu schweigen von regulären Linientruppen. Und zudem war die militärische Position Anfang 1813 noch nicht stark genug, um den bergischen Aufstand zum Erfolg zu bringen. Dennoch hatte er Signalwirkung für die erfolgreicheren Erhebungen von 1813, die die Befreiungskriege auslösten.

Mit ihnen zerstob auch Napoleons Traum von den Modellstaaten auf deutschem Boden. Berg löste sich am Ende ebenso schnell auf wie Westfalen – was bewies, wie wenig die Franzosen dort hatten Fuß fassen können. Deutlich zeigen das die Memoiren des bergischen Generalstaatsanwalts Christoph von Sethe, der in der Justiz des Großherzogtums unterhalb des Ministeriums praktisch der einflußreichste Mann war. Er schrieb über die Reaktionen der Düsseldorfer auf den endgültigen Abzug der Franzosen: „Ich habe noch nie eine solche allgemeine Volksfreude erlebt, wie sie sich an diesem Tage äußerte, ein Beweis, wie hart das Joch gedrückt hatte und wie verhaßt die despotische Herrschaft Napoleons war.“

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