© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Die Angst vor der großen Kehrtwende
Anläßlich des Warschauer Klimagipfels warnen Umweltaktivisten vor einem Nachlassen im Kampf gegen das „Klimagas“ CO2
Christoph Keller

Christoph Bals’, politischer Geschäftsführer der von ihm 1991 mitbegründeten Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, ist einer der rührigsten Streiter für den Klimaschutz. Als „kritischer Beobachter“, der an allen UN-Klimagipfeln seit Kyoto teilgenommen hat, mußte der studierte Theologe und Volkswirt jedoch erleben, daß die Internationale der Klimapolitiker die Erderwärmung für deutlich weniger bedrohlich hält als Germanwatch und andere notorische Kassandrarufer.

Bals‘ Alarmismus klingt daher erheblich gedämpfter, wenn er dem Journalisten Horst Hamm, mit dem er zusammen den „Natur-Aktien-Index“ betreut, seine Sicht der 19. UN-Klimakonferenz mitteilt (Natur 11/13). Das Treffen von 20.000 Delegierten in Warschau solle, wie der für 2014 in Lima angesetzte Gipfel, ohnehin nur Vorarbeiten leisten für ein neues Klimaabkommen, das 2015 in Paris unterzeichnet und 2020 in Kraft treten solle. Eine „große Wende“ an der Weichsel erwartet Bals darum nicht. Viel gewonnen sei aber schon, wenn die aus seiner Sicht zu geringen Klimaschutzselbstverpflichtungen der Industrie- und Schwellenländer bis 2020 erhöht würden und sie endlich die versprochenen 100 Milliarden Dollar aufbrächten, um in den hundert ärmsten Staaten die Schäden auszugleichen, die der Klimawandel dort anrichte.

Doch selbst diese Ziele könnten verfehlt werden. Denn Bals glaubt weltweit einen klimapolitischen „Rollback“ wahrzunehmen, ein Zurückrollen, das durch den kürzlich veröffentlichten Bericht des Weltklimarats (IPCC) mit seinen „beruhigenden Temperaturdaten“ noch beschleunigt werde. Angestoßen von der Bundesregierung finde in Deutschland und Europa sogar eine „regelrechte Kehrtwende“ in der Klimapolitik statt, die bereits auf dem letzten Gipfel in Doha China in seiner Bremserrolle bestärkt habe. Es sei Angela Merkel gewesen, die im Alleingang strengere CO2-Grenzwerte für Autos in der EU verhinderte. Und ihr Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) trage Mitverantwortung dafür, daß die EU ihr CO2-Reduktionsziel nicht von 20 auf 30 Prozent erhöhte. Das bedeute, „daß wir in Europa bis 2020 keinerlei weiteren Klimaschutz mehr machen“.

Da auch China und die USA, wo immerhin, wie Bals’ grobschlächtige Wahlanalyse ergibt, bei der Präsidentenwahl 2012 „Klimaleugner“ abgestraft worden seien, sich nicht massiv nach vorne bewegten, blieben nur vage Hoffnungen auf den Druck, den allein die „Zivilgesellschaft“ umweltpolitisch erzeugen könne. Schuld an der ökologischen Kehrtwende ist für Bals in der EU und den USA die Finanz- und Wirtschaftskrise, in China eine ungebrochene Wachstumsideologie. Für fatal hält Bals die medial in den Vordergrund gerückte IPCC-Aussage, der zufolge seit 1998 keine weitere Erwärmung der Atmosphäre zu registrieren sei. Der Nichtnaturwissenschaftler Bals legt sich dieses Phänomen kurzerhand zurecht als Auswirkung von El-Niño- und La-Niña-Effekten, den angeblich „vielen Vulkanausbrüchen in der letzten Zeit“ und der „abgeschwächten Sonnenaktivität“.

Dieser abenteuerlich anmutende Deutungsmix erlaubt ihm ein unbeirrbares Festhalten an ökologischen Weltuntergangsszenarien. Die derzeitige Politik der „Kehrtwende“, die auch den Warschauer Klimagipfel überschatte, sei daher schlecht beraten, wenn sie auf „Klimaskeptiker“ höre, die, gestützt auf den IPCC-Bericht, behaupten, CO2-Auswirkungen würden „überschätzt“. Für den Bonner Umweltaktivisten steht hingegen fest, daß wir bald auf ein „neues Niveau der Wärmeentwicklung“ springen und die Menschheit „im Blindflug auf ein völlig anderes Klima“ zurase.

Fünfter IPCC-Sachstandsbericht von 2013: www.de-ipcc.de

Germanwatch-KlimaKompakt Spezial 55/13: germanwatch.org/

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