© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Du bist, was du fühlst
Intersexualität: Hinter der Änderung des Personenstandsrechtes steht das Ziel, die biologischen Geschlechter aufzulösen
Gabriele Kuby

Am 31. Januar 2013 beschloß der Deutsche Bundestag einstimmig, das Personenstandsrecht für intersexuelle Kinder zu ändern. Seit dem 1. November ist diese Änderung in Kraft, die festlegt: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“

Der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz freute sich, daß die Koalitionsfraktionen die Forderung der Grünen übernommen haben, denn „das Personenstandswesen wird in dem Maße im Umbruch bleiben, wie der gesellschaftliche Wandel Veränderungen von Ehe, Familie oder auch individuellen Identitäten nach sich zieht“. Dieser gesellschaftliche Wandel geschieht jedoch nicht von allein, sondern ist das Ergebnis kulturrevolutionärer Strategien, wie sich am Beispiel dieser Gesetzesänderung demonstrieren läßt.

In einem Brief der damaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) an den Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Edzard Schmidt-Jortzig, von Ende 2010 heißt es: „Der Ausschuß zur Überwachung des VN-Abkommens zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) hat Deutschland ... aufgefordert, ‘in einen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen von intersexuellen und transsexuellen Menschen einzutreten, um ein besseres Verständnis für deren Anliegen zu erlangen und wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen’. Weiterhin hat er Deutschland aufgefordert, einen schriftlichen Bericht über die zur Umsetzung ergriffenen Maßnahmen vorzulegen.“

Der Ausschuß CEDAW gehört zu den „Treaty Monitoring Bodies“, auch „compliance committees“ genannt, deren Aufgabe es ist, für die Durchsetzung von Menschenrechtsverträgen in den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zu sorgen. Sie sind mit erheblichen Kompetenzen und finanziellen Ressourcen ausgestattet. Die Mitglieder der Körperschaften – 23 Personen im Fall von CEDAW – werden von den Mitgliedsstaaten ernannt, sind ihnen dann aber nicht verantwortlich. Sie können von den Einzelstaaten Berichte über die Implementierung der angeblichen Vorgaben der Menschenrechtsverträge verlangen, selbständig in Mitgliedsstaaten Untersuchungen veranlassen und mit örtlichen Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten.

Sorgfältig ausgehandelte, bindende Verträge werden durch die Monitoring Bodies „weiterentwickelt“, „fortgeschrieben“ und „uminterpretiert“. So wurde aus dem Recht auf Freizügigkeit das Recht auf Auslandsreisen zum Zwecke der Abtreibung abgeleitet sowie mit dem Recht auf Privatsphäre ein Recht auf freie Entscheidung über Schwangerschaft und Abtreibung begründet. Die freie Meinungsäußerung wiederum dient dazu, das Recht auf „reproductive health services“, nämlich Verhütung, Abtreibung und Sexaufklärung zu legitimieren. Der CEDAW kämpft also weltweit für die Durchsetzung von Abtreibung als „Menschenrecht“, für Gender-Mainstreaming und für die „LGBT“-Agenda (lesbisch, schwul, bi-, transsexuell).

„Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie“, so heißt es im Brief weiter, „im Namen der Bundesregierung (...) eine Stellungnahme zur Situation von intersexuellen Menschen in Deutschland vorzulegen. Die Stellungnahme sollte auf der Fortführung des Dialogs mit den Betroffenen und ihren Selbsthilfeorganisationen fußen.“

Der Ethikrat befragte daraufhin 200 Betroffene und 30 Wissenschaftler, unter ihnen Nina Degele, Professorin für Soziologie und empirische Geschlechterforschung am Institut für Soziologie der Universität Freiburg. In einem Aufsatz mit dem Titel „Anpassen oder unterminieren: Zum Verhältnis von Gender Mainstreaming und Gender Studies“ (Freiburger Studien Nr. 12, 2003) erörtert Degele die Frage, ob „die politische Strategie des Gender Mainstreaming einen Anpassungskurs verfolgt, welcher der Unterminierung der Geschlechtsidentität“ abträglich sein könnte. Diese Unterminierung wird laut Degele durch „Entnaturalisierung“ und „Entselbstverständlichungsbemühungen“ und eine „noch auszuschöpfende Radikalität“ angestrebt, „denn was verunsichert uns mehr, als den Menschen uns gegenüber nicht eindeutig als Frau oder Mann klassifizieren zu können?“ Die Durchsetzung geschieht durch „eine Top-down-Orientierung“, weil sich „in hierarchisch zugeschnittenen Entscheidungswegen politische Maßnahmen ‘systemkonform’ durchsetzen lassen“.

An deutschen Universitäten gibt es 173 weitere Professorinnen, welche im boomenden Fach „Gender Studies“ oder „Queer Studies“ den akademischen Nachwuchs in der Kunst der Geschlechter-Subversion ausbilden. Der Ethikrat machte sich die Anliegen der sozialwissenschaftlichen Expertin zu eigen und gab im Februar 2012 in seiner Stellungnahme folgende Empfehlungen:

l Der Ethikrat verwendet zur Bezeichnung biologischer Uneindeutigkeit des Geschlechts den Begriff differences of sex development (DSD), „um eine negative Zuschreibung im Sinne von Krankheit und Störung“ zu vermeiden und offenzulassen, „ob es sich um ein drittes Geschlecht handelt“.

l Der Ethikrat hält es für einen „nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung“, wenn Menschen mit DSD gezwungen werden, sich im Personenstandsregister der Kategorie männlich oder weiblich zuzuordnen. Deswegen soll außerdem die Kategorie „anders“ eingeführt werden. Es müsse aber bis zu einem festzulegenden Höchst-alter überhaupt kein Eintrag erfolgen und der Eintrag solle jederzeit verändert werden können.

l Menschen mit einem „anderen Geschlecht“ soll nach Meinung der Mehrheit des Ethikrats das Recht auf eine Eingetragene Lebenspartnerschaft gewährt werden, welche bisher nur für gleichgeschlechtliche Partner möglich ist. Ein Teil des Ethikrats schlägt vor, ihnen darüber hinaus auch die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen.

l Es sollte geprüft werden, ob eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister überhaupt noch notwendig ist.

Damit ist der Deutsche Ethikrat auf der Linie der Yogyakarta-Prinzipien, welche das Geschlecht nicht von biologischen Merkmalen abhängig machen – das wäre „biologistisch“ –, sondern vom wandelbaren Gefühl des Subjekts: „Unter geschlechtlicher Identität versteht man das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, das mit dem Geschlecht, das der betroffene Mensch bei seiner Geburt hatte, übereinstimmt oder nicht übereinstimmt.“

Auch die Resolution der Grünen Jugend vom Mai 2013 kann sich auf den Deutschen Ethikrat stützen, denn sie versteht „einen Menschen nicht als eine Person, die ihr Leben lang einer Geschlechtsidentität als ‘Mann’ oder ‘Frau’ ausgesetzt ist“. Die Nachwuchsorganisation der Grünen kämpft deswegen für ein „queeres Grundgesetz“, in dem die Privilegierung der Ehe abgeschafft und polyamore Partnerschaften, in denen mehr als zwei Personen Eltern eines Kindes sein können, anerkannt werden.

Die Betroffenen fühlen sich durch die Gesetzesänderung übrigens noch immer diskriminiert, weil dieses ein „Zwangs-Outing“ verlange. Sie fordern, den Geschlechtseintrag ganz abzuschaffen. Das ist wohl nur eine Frage der Zeit, denn sie dürfen mit der Unterstützung des Ethikrats, der Grünen, der Linken und Liberalen, der EU und der Vereinten Nationen rechnen. Sie alle halten es für ein Menschenrecht und eine Ausübung menschlicher Freiheit, daß wir unser Geschlecht wählen und wechseln können.

Papst Benedikt XVI. nannte dies eine „anthropologische Revolution“. „Wenn es die von der Schöpfung kommende Dualität von Mann und Frau nicht gibt, dann gibt es auch Familie als von der Schöpfung vorgegebene Wirklichkeit nicht mehr. Dann hat aber auch das Kind seinen bisherigen Ort und seine ihm eigene Würde verloren (...) Es wird sichtbar, daß dort, wo Gott geleugnet wird, auch die Würde des Menschen sich auflöst.“

 

Gabriele Kuby ist Soziologin und Publizistin.

 

Intersexualität im Gesetz

Laut Schätzungen kommt auf 4.500 Geburten in Deutschland ein Kind, bei dem das Geschlecht nicht eindeutig zu bestimmen ist. Auch in diesen Fällen mußten sich die Eltern bislang entscheiden, ob das Neugeborene als Mädchen oder als Junge in das Geburtsregister eingetragen wurde. Mit der am 1. November in Kraft getretenen Änderung des Paragraphen 22 Absatz 3 kann diese Angabe entfallen. „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen“, lautet der entsprechende Satz nun.

Eine ähnliche Regelung gab es übrigens bereits in der Vergangenheit. Schon das 1794 in Kraft getretene Allgemeine Preußische Landrecht enthielt einen sogenannten „Zwitterparagraphen“. Dieser ermöglichte es intersexuellen Menschen, sich mit der Volljährigkeit für ein Geschlecht zu entscheiden. Mit dem 1900 eingeführten Bürgerlichen Gesetzbuch entfiel diese Regelung.

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