© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Balzen zwischen Ost und West
Putins Außenpolitik (Teil 4): Die slawischen Bruderländer bereiten Moskau eher Frust denn Freude
Thomas Fasbender

Selten haben reiche Freier so um eine arme Braut gerungen wie Rußland und die EU um die heruntergewirtschaftete Ukraine. Und bis zuletzt bleibt das Ergebnis offen. Wird Kiew Ende November in Wilna die EU-Assoziierung unterzeichnen? Kein Wunder, daß der Vorgang in Rußland, wo man Ukraine und Weißrußland als „slawische Bruderländer“ betrachtet, ganz besonderes Interesse weckt.

Seit Jahren begleitet Moskau die Versuche des Westens, die Ukraine dem russischen Einflußbereich zu entziehen, mit wachsendem Mißtrauen. Das Kreml-Projekt der eurasischen Integration ist auch eine Reaktion auf das westliche Buhlen um ehemalige Sowjetrepubliken. Falls die Ukraine der EU-Assoziierung zustimmt und seiner konkurrierenden Zollunion einen Korb gibt, hätte Putin vorerst den kürzeren gezogen. Im Westen wird man die Unterzeichnung des Abkommens, das seit Jahren in der Schublade liegt, daher als Etappensieg feiern.

Warum gilt dem Westen die Ukraine, die ökonomisch nun wirklich kein Kronjuwel ist, als ein so wichtiges Objekt der Begierde? Seit dem Ende der UdSSR werben westliche Geostrategen dafür, Rußland vorbeugend gegen ein künftiges Aufwallen imperialer Tendenzen wirksam einzudämmen: die sogenannte Containment-Strategie. Wichtigster Vertreter dieser Linie ist der US-Außenpolitiker Zbigniew Brzeziński. Er sieht in Rußland entweder ein Imperium oder eine Demokratie – niemals beides zugleich. Die Ukraine wertet er dabei als das Land, das den Unterschied macht: Mit der Ukraine, so Brzeziński, sei Rußland ein Imperium, ohne Ukraine nicht. Und nur als Nicht-Imperium werde Rußland sich den westlichen Vorstellungen öffnen und sich nach westlichen Grundsätzen organisieren.

Nun ist Rußland in der Realität weder eine Demokratie noch eine Nicht-Demokratie, weder ein Imperium noch ein Nicht-Imperium. Die Begriffe sind zu schlicht, um die Verhältnisse annähernd zu erfassen. Dasselbe gilt für die russischen Beziehungen zur Ukraine. Imperien sind gekennzeichnet durch den Besitz von Kolonien, doch die Ukraine war zu keiner Zeit eine russische Kolonie, sowenig wie Bayern je eine deutsche oder preußische war.

In der Politik ist Brzezinskis Denkansatz inzwischen institutionalisiert. Die 2009 gegründete „Östliche Partnerschaft“ der EU mit den europäischen und kaukasischen Ex-UdSSR-Republiken mit Ausnahme des Baltikums steht in der Kontinuität der vom Westen unterstützten Farbrevolutionen (Georgien, Ukraine, Kirgisien). Vordergründig geht es um dieVerbreitung der westlichen Zivilgesellschaft, geostrategisch um die Umsetzung der Containment-Strategie.

Für die europäische Exportwirtschaft ist eine Assoziierung der Ukraine, also ein vertieftes Freihandelsabkommen, durchaus attraktiv. Ein Markt von 45 Menschen Millionen ist auch bei niedrigem Durchschnittseinkommen nicht zu verachten. Die Konkurrenz ukrainischer Waren auf europäischen Märkten raubt niemandem den Schlaf. Es sind die Russen, die sich vor einem Überangebot ukrainischer und reimportierter Erzeugnisse fürchten und mit Gegenmaßnahmen drohen. Der russische Markt steht für 35 Prozent des ukrainischen Exports; mögliche russische Schutzmaßnahmen bergen daher realen Sprengstoff.

In der Tat liegt die Schwäche der russischen Position weniger in einer möglichen Westorientierung der Ukraine als in der Art und Weise, wie Moskau darauf reagiert. Einen Vorgeschmack gab die faktische Grenzschließung für ukrainische Waren Mitte August. Dieser Einschüchterungsversuch hat den Befürwortern der Westorientierung in der Ukraine nur in die Hände gespielt. Von einer Regierung mit einem so erfahrenen Außenminister wie Sergej Lawrow hätte man mehr Geschick erwartet. Mit der Devise „Willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein“ macht sich auch das größte Land der Welt keine Freunde.

Die jüngere Generation der russischen Politikexperten sieht das Thema entspannter. An einer Stärkung der Brüssel-EU als weltanschaulicher Block („europäische Werte“) ist in Rußland nur die liberale Minderheit interessiert. Da im Zuge der Aufnahme immer neuer Randstaaten die von den europäischen Kernländern propagierte Demokratie- und Menschenrechtsideologie aufgeweicht wird, liegt die Assoziierung der Ukraine taktisch durchaus im russischen Interesse. Wenn nach einigen Jahren dann die Ukrainer in ihrer Hoffnung auf einen EU-Beitritt enttäuscht werden und sich, ähnlich wie die Türken, von Westeuropa abwenden, kommt es von allein zu einer Wiederannäherung.

Weißrußland, der kleine Nachbar Rußlands wie auch der Ukraine, hat sich infolge von Alexander Lukaschenkos autoritärer Politik so gut wie sämtliche Spielräume im Westen verbaut. Eine Annäherung Weißrußlands und der EU ist unter den gegenwärtigen Bedingungen ausgeschlossen. Moskau ist deswegen jedoch nicht zufriedener. Der Kreml subventioniert den Minsker postsowjetischen Sozialismus, erhält dafür aber nur eine minimale politische Dividende. Ein Anschluß Weißrußlands an den großen Bruder liegt erst recht nicht im Interesse der lokalen Eliten, was sich auch nach Lukaschenko nicht ändern dürfte – und für sämtliche ehemaligen Sowjetrepubliken zutrifft.

Moskau hat alle Chancen, sich in Eurasien zur einflußreichen Regionalmacht aufzuschwingen. Voraussetzung dafür ist, daß der Kreml das Selbstbewußtsein aufbringt, ohne Freund-Feind-Schemata und ohne Emotionen im Rahmen flexibler Allianzen zu operieren. Das gilt, selbst wenn es schwerfällt, auch im Verhältnis zu den slawischen Brüdern. Sollen sie mit dem Westen flirten; nüchtern betrachtet hat Rußland nur Vorteile davon.

 

Rußlands Außenpolitik: Ukraine und Weißrußland

Einundzwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ist es Zeit, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Was ist aus der Weltmacht geworden? Welche Interessen verfolgt Moskau? Wie ist das Verhältnis zu den Nachbarn? Teil eins der Reihe beschäftigte sich mit dem Verhältnis Rußlands zum Westen (JF 3/13). Es folgten das Baltikum (JF 19/13) und der Kaukasus (JF 30- 32/13). Rußlands Politik in Zentralasien schließt die Reihe ab.

Foto: Alexander Lukaschenko, Wiktor Janukowitsch und Wladimir Putin (v.l.n.r.): Auf dem Gipfel der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft in Minsk (Oktober 2013) präsentierten sich die Präsidenten Weißrußlands, der Ukraine und Rußlands eher nachdenklich der Öffentlichkeit

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