© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Das Vertrauen starb in der Elm Street
Der nie völlig schlüssig aufgeklärte Mord an US-Präsident John F. Kennedy vor fünfzig Jahren erschütterte die USA nachhaltig
Wolfgang Kaufmann

Am Mittag des 22. November 1963 rollte eine imposante Wagenkolonne durch die texanische Millionenstadt Dallas: an der Spitze ein weißer Ford mit den Chefs von Secret Service und örtlicher Polizei, anschließend der gepanzerte sechssitzige Lincoln Continental GG 300 des Präsidenten der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, eskortiert von vier Motorrädern, dann die sogenannte „Queen Mary“, ein offenes Spezialfahrzeug mit zehn Secret-Service-Männern an Bord, dahinter die Limousine von Vizepräsident Lyndon B. Johnson, der ein weiteres Gefährt mit Personenschützern folgte, und zum Schluß noch zwei Busse voller Pressevertreter, die Kennedy zum Dallas Business and Trade Mart begleiten wollten, wo der Präsident vor allem um Spenden für den nächsten Wahlkampf werben wollte.

JFK hatte auf dem rechten Rücksitz des Lincoln Platz genommen, links von ihm saß die First Lady und in der Reihe davor der texanische Gouverneur John Connally und dessen Frau Nellie. Gesteuert wurde der Wagen vom Secret-Service-Beamten Bill Greer. Dazu kam ein zweiter Leibwächter auf dem Beifahrersitz namens Roy Kellermann. Aufgrund des strahlenden Sonnenscheins hatte man darauf verzichtet, das Präsidentenfahrzeug mit dem „Bubble Top“, einem kugelsicheren Verdeck, zu versehen. Ebenso standen keine Secret-Service-Männer auf den Trittbrettern des Lincoln bereit, Kennedy im Falle eines Angriffs mit ihren Körpern zu decken. Der Präsident wollte offensichtlich ein möglichst ungehindertes Bad in der Menge nehmen, um damit die abweisenden Texaner für sich zu gewinnen. Immerhin stieß seine Politik gerade im zweitgrößten Bundesstaat der USA auf erhebliche Ablehnung. So verübelte man ihm hier unter anderem seine angeblich zu nachgiebige Außenpolitik gegenüber der UdSSR und Kuba sowie das Eintreten für die Bürgerrechte von Schwarzen. Deshalb kursierte am 21. November sogar ein Flugblatt in Dallas, welches den Präsidenten in steckbriefhafter Form des Hochverrats bezichtigte.

Und der Plan von JFK schien auch aufzugehen: Die Ovationen der etwa 200.000 Schaulustigen am Rande der 16 Kilometer langen Strecke wurden immer stürmischer, je intensiver der Präsident den Kontakt zu den Menschen am Straßenrand suchte. 12.29 Uhr Ortszeit bog der Lincoln dann von der Houston Street in die Elm Street ein, und Nellie Connally wandte sich nach hinten zu Kennedy: „Mister President, Sie können nicht sagen, daß Dallas Sie nicht liebt.“

Während der Angesprochene Zustimmung signalisierte, fiel der erste Schuß. Nach dem Abschlußbericht der offiziellen Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Obersten Richters am Supreme Court Earl Warren, die davon ausging, daß es sich bei dem Schützen tatsächlich um den kurz darauf verhafteten Lee Harvey Oswald gehandelt habe, ging dieser fehl. Anders das zweite Projektil, welches der angeblich prosowjetische und zugleich geistig verwirrte Einzeltäter mit seiner Mannlicher Carcano M91/38 abgefeuert haben sollte: Dieses durchschlug zunächst Kennedys Hals und dann auch noch den Oberkörper und das rechte Handgelenk Connallys – weshalb hier von einer „magischen Kugel“ gesprochen wird, die nur deshalb zwei Menschen mehrere Verletzungen zufügen konnte, weil sie sich auf einer wundersamen Zickzackbahn bewegte. Und dann schließlich der dritte und absolut tödliche Schuß, welcher den Kopf des Präsidenten scheinbar explodieren ließ, wie auf dem immer wieder gezeigten 8-Millimeter-Film zu sehen ist, den der Amateurfilmer Abraham Zapruder gedreht hatte.

Während die Polizei umgehend das Gebäude der Texas School Book Depository stürmte, aus dem die Schüsse anscheinend gekommen waren, gab der Fahrer des Präsidenten-Lincoln Gas und steuerte den Wagen mit dem sterbenden Präsidenten innerhalb von sechs Minuten ins fünf Kilometer entfernte Parkland Memorial Hospital. Dort bemühten sich insgesamt vierzehn herbeigerufene Ärzte um den klinisch bereits toten Kennedy und nahmen unter anderem noch einen Luftröhrenschnitt für die künstliche Beatmung sowie eine zehnminütige Herzmassage vor. Allerdings vergeblich, so daß Dr. Marion Jenkins schließlich keine andere Wahl mehr blieb, als den Präsidenten nach Erteilung der letzten Ölung durch Reverend Oscar Huber um 13 Uhr offiziell für tot zu erklären.

Drei Minuten später gab der amtierende Pressesprecher des Weißen Hauses, Malcolm Kilduff, das Ableben Kennedys bekannt. Damit war nun bereits der vierte US-Präsident – nach Abraham Lincoln, James Garfield und William McKinley – einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Kennedys Leiche wurde umgehend an Bord der Präsidentenmaschine Air Force One verbracht, welche auf dem Flughafen Love Field wartete, und damit de facto der Zuständigkeit des heftig protestierenden Coroners von Dallas County, Earl Rose, entzogen. Ebenfalls zur Stelle war der bisherige Vizepräsident Lyndon B. Johnson, der um 14.38 Uhr, kurz vor dem Abheben in Richtung Washington, vor der zufällig anwesenden Richterin Sarah Hughes den Amtseid als 36. Präsident der Vereinigten Staaten leistete.

Aufgrund der Tatsache, daß der dringend tatverdächtige Oswald zwei Tage später während der Überführung in das Staatsgefängnis von Dallas von dem mehr als dubiosen Nachtclubbesitzer Jack Ruby erschossen wurde, blühten sofort allerlei Gerüchte über die Hintergründe des Mordes, mit denen sich dann später auch die diversen Gremien auseinandersetzen mußten, die die Hintergründe des Attentates aufklären sollten. Dabei bestätigte die von Johnson installierte Warren-Kommission die Alleintäterthese, wie sie vom Dallas Police Department und dem FBI noch am 22. November formuliert worden war. Hingegen kam das United States House of Representatives Select Committee on Assassinations (HSCA), welches zusätzlich auch den Mord an Martin Luther King untersuchte, 1979 zu dem Schluß, daß es mit 95prozentiger Wahrscheinlichkeit einen vierten Schuß beziehungsweise zweiten Schützen gegeben habe, was auf eine Verschwörung hindeute.

Allerdings widerlegte ein Ausschuß der National Academy of Sciences unter der Leitung des Physikers Norman Ramsey 1982 genau diese Annahme, womit das Thema Verschwörung offiziell wieder vom Tisch war. Das ändert aber nichts daran, daß es zahlreiche Theorien gibt, wer denn nun hinter dem Mord an Kennedy gesteckt haben könnte. Diese sind manchmal geradezu irrsinnig, wie die von Richard Shaver, daß die Deros-Titanen, welche angeblich in der Hohlen Erde leben, Oswald mittels „Gedankenstrahlen“ dazu gebracht hätten, JFK zu liquidieren. Gleichfalls völlig hanebüchen sind die Behauptungen, die First Lady, der Fahrer des Lincoln oder ein verkaterter Leibwächter in der „Queen Mary“ seien die Schützen gewesen. Andere Annahmen klingen hingegen deutlich plausibler. So gab es nachweislich ein abgrundtiefes Zerwürfnis zwischen Kennedy und der CIA, seit der Präsident im April 1961 nach der fehlgeschlagenen Invasion in der Schweinebucht gedroht hatte, etwas gegen „diese CIA-Bastards“ zu unternehmen und den außer Kontrolle geratenen Geheimdienst „in tausend Stücke zu schlagen und in die Winde zu zerstreuen“.

Das schrie geradezu nach einer Gegenreaktion der dann tatsächlich auch in ihrer Macht Beschnittenen, Gemaßregelten und Geschaßten um den bisherigen CIA-Direktor Allen Welsh Dulles. Ganz ähnlich problematisch gestaltete sich das Verhältnis zu den zahlreichen Falken in der Militärführung, wie dem aggressiven Air-Force-Chef Curtis LeMay, der Kennedys vermeintlich knieweiche Haltung in der Kuba-Krise mit der britischen Appeasement-Politik gegenüber Hitler verglichen hatte und nun befürchten mußte, durch den von JFK eingeleiteten Ausstieg aus dem Kalten Krieg an Einfluß zu verlieren. Und zuletzt waren da noch die Exilkubaner, die dem Präsidenten verübelten, daß er seit neuestem den Ausgleich mit Castro suchte.

Ob die wahren Drahtzieher tatsächlich in diesen Kreisen beheimatet waren und sich dann einiger Mafiakiller bedienten, die die Schmutzarbeit erledigten, wird die Welt vielleicht 2017 erfahren, wenn voraussichtlich sämtliche Akten mit einem Bezug auf das Attentat von 1963 frei zugänglich sein werden.

Fotos: Nachstellung des Attentates auf John F. Kennedy in Dallas, Sicht durch das Zielfernrohr des Gewehres aus dem texanischen Schulbuchdepot auf den Präsidentenwagen: Es gibt zahlreiche Theorien, wer hinter dem Mord an Kennedy gesteckt haben könnte; Der Verlauf des zweiten Schusses mit der „magischen Kugel“, die Kennedy (auf dem Rücksitz) und den texanischen Gouverneur John Connally verletzte: Die Einzeltäterthese erschüttert

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