© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Kein Weg von Athen nach Jerusalem
Heinrich Meier positioniert die Politische Philosophie gegen die Herausforderung der Offenbarungsreligion
Felix Dirsch

Der Philosoph Heinrich Meier, seit 1985 Nachfolger Armin Mohlers als Direktor der Münchner Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung, ist einem größeren, fachlich versierten Publikum als exzellenter Kenner der akademischen Disziplin „Politische Philosophie“ bekannt. Etliche seiner Publikationen fanden internationale Anerkennung. An erster Stelle ist die Neuedition von Rousseaus „Discours“ zu nennen. Aber auch Denker wie Leo Strauss und Carl Schmitt wurden in sorgfältig gearbeiteten Monographien analysiert. Insbesondere die philologische Akribie Meiers wird immer wieder gelobt. Herauszustellen sind weiterhin viele von ihm herausgegebene Sammelwerke.

Eine neue Veröffentlichung des Gelehrten vereinigt Studien, die bereits an anderer Stelle erschienen sind. Ihr roter Faden besteht darin, daß sie diejenigen Protagonisten verteidigen, die das Letztbegründungsprinzip der Vernunft stark machen auf Kosten derer, die die Quelle der Offenbarung als definitiven Maßstab allen Denkens hochhalten.

Darauf deuten schon die „Warum Politische Philosophie?“ betitelten Erörterungen, die im Jahre 2000 anläßlich der Münchner Antrittsvorlesung als Honorarprofessor vorgetragen wurden. Sie zeigen eindringlich, daß die Auseinandersetzung mit den Fragen, die politische sind, also das Gemeinwesen substantiell betreffen, den Kern der philosophischen Debatte überhaupt bildet. Insofern ist die Wende, die mit dem Namen Sokrates verbunden ist, vielleicht die entscheidende der Philosophiehistorie überhaupt.

Volle Konzentration erfordert auch die Auslegung einer wichtigen Schrift von Leo Strauss, nämlich „Thoughts on Machiavelli“. Der jüdische Emigrant exemplifiziert am Beispiel des Florentiner Schriftstellers sein Unternehmen einer Erneuerung der Politischen Philosophie, die durch den Einfluß von Positivismus und Szientismus im 18. und 19. Jahrhundert weitestgehend verschüttet wurde. Machiavelli übte, wie knapp zwei Jahrtausende vor ihm Sokrates, Kritik an der überlieferten Religion, die freilich nunmehr eine Offenbarungsreligion war. Diese relativiert nach Machiavelli die Möglichkeit des innerweltlichen Ruhms.

Der letzte, wiederum sehr ausführliche Abschnitt beschäftigt sich mit Rousseau. Die Kraft der überlieferten Religion auf die Wertmaßstäbe der Gesellschaft ist im Vorfeld der Französischen Revolution bereits so schwach, daß sie nach Meinung des Autors des „Gesellschaftsvertrages“ eines künstlichen, zivilreligiösen Pendants bedurfte, das für alle verbindlich sein sollte. Die Zeit der fruchtbaren Spannung von Politischer Philosophie und Politischer Theologie ist seither im Grunde genommen vorbei. Auch Strauss’ Versuch der Anknüpfung an den alten Kontrast von Athen und Jerusalem im 20. Jahrhundert ändert daran nichts. Epilog bleibt Epilog.

Heinrich Meier: Politische Philosophie und die Herausforderung der Offenbarungsreligion. Verlag C.H. Beck, München 2013, gebunden, 238 Seiten, 26,95 Euro

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