© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Die Phantasie anregen, das Auge fesseln
Pädagogisch wertvolle Lektüre: Empfehlungen für gute Kinder- und Jugendbücher / Klassiker werden immer noch gern gelesen
Nora Mangold

Empfehlungen für Kinder- und Jugendbücher? Verbreiten nicht schon genügend Institutionen landauf, landab kompetente und zuverlässige Tips für pädagogisch wertvolle Lektüre? In politisch korrekten Zeiten läßt sich darauf nicht mehr vertrauen. Was soll man davon halten, wenn es bei drei der vier Preisträger des diesjährigen Deutschen Jugendliteraturpreises um Abschiebung, Krieg und Konzentrationslager geht. Gibt es statt der „unheilen“ Welt der Erwachsenen nicht auch noch schöne Dinge, mit denen unsere Kinder groß werden können?

Ja, es gibt sie, und nicht wenige Verlage bringen hervorragende Bücher heraus, die die Phantasie anregen und das Auge fesseln. Auffällig ist dabei die Wiederkehr der Klassiker der Kinderliteratur. So werden etwa Otfried Preußlers Werke im neuen Gewand wieder aufgelegt und die „Kleine Raupe Nimmersatt“ frißt sich bereits in der 38. Auflage auch 2013 durch die Bilderbuchseiten.

Auch der E-Buch-Sektor hat die Klassiker längst für sich entdeckt. Der Versandriese Amazon hat etliche Werke entweder kostenlos oder äußerst preisgünstig im Programm. Für das Kindle-Lesegerät sind die einzelnen Bände einer Sammlung der Abenteuererzählungen von Karl May – wie die der spannenden „Waldröschen“-Serie aus dem Benu-Verlag – schon für unter einem Euro zu haben. Allerdings ist es die sprachliche Fassung, die zwischen 1882 und 1884 im Dresdner Verlag Münchmeyer erschienen und orthographisch noch nicht der Rechtschreibung von 1901 angepaßt ist. Der mit dem Untertitel „Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft“ bezeichnete Kolportageroman bildete damals den Auftakt zu vier weiteren Serien.

Auch „Die 100 schönsten Märchen der Brüder Grimm“ aus dem Verlag Urachhaus geben die gesammelten Erzählungen im Originalton wieder. Ob das noch die Sprache der heutigen Zeit ist, werden sich manche Eltern fragen. Wohl nicht ganz zu Unrecht. Meistens erscheinen Märchen heute ja als Nacherzählungen der ursprünglichen Texte, um sie „kindgerechter“ und leichter lesbar zu gestalten. Doch gerade die uns nicht mehr ganz gewohnte Sprache verzaubert, wie auch die liebevoll gezeichneten Aquarelle von Daniela Drescher, die das Motiv der Märchen wie einen „Silberfaden“ aufgreift und in stimmungsvollen Bildern einfängt.

Neben Märchen gehören Sagen und Mythen zum kulturellen Erbe, das durch das Weitererzählen über Generationen hinweg überliefert wird. Einige dieser Sagen und Mythen finden sich in zeitgemäßer Verpackung in der Audio-Box, die der Hörverlag unter dem Titel „Geschichten von Rittern und Helden“ soeben herausgegeben hat. Mit den drei Inszenierungen im Gepäck – insgesamt sind es sieben CDs – verwandeln sich lange Autofahrten mit Kindern in kurzweilige Trips. Während es sich bei „Siegfried, der Drachentöter“ in der Bearbeitung von Annelie Knoblauch um eine eher konventionelle Lesung des Stoffes aus den Nibelungen handelt, können sich die Hörer der beiden anderen Teile auf atemberaubende Hörspiele gefaßt machen, in denen ein Feuerwerk voll sprühender Ideen entzündet wird.

Deren Autor Karlheinz Koinegg besitzt das richtige Gespür für seine jungen Zuhörer. Mit viel Witz und Esprit, der die menschlichen Schwächen seiner Gestalten ironisch aufs Korn nimmt, erzählt er hier einige der wichtigsten Geschichten aus dem Umfeld von König Artus. „Die unglaublichen Abenteuer des Ritters Parzival“ schildert, eingebettet in eine Rahmenhandlung, die Entdeckungsreise des arglosen Jünglings, der von seiner Mutter in der Einsamkeit des Waldes nach dem gewaltsamen Tod ihres Gatten von Recken und dem höfischen Leben ferngehalten wurde, nun aber doch noch selbst zum Artusritter wird und obendrein noch den Heiligen Gral findet. Rasante Turniere, edle Hofdamen und wackere Ritter erwachen in der Inszenierung „König Artus und die Ritter der Tafelrunde“ zu neuem Leben. Mit Schauspielern wie Ralf Wolter, Peer Augustinski und Anna Thalbach sind die Sprecherrollen der WDR-Produktionen erstklassig besetzt. Nicht nur Kindern ab zehn, sondern auch Jugendlichen und sogar Erwachsenen bieten die Hörbücher amüsante und lehrreiche Unterhaltung.

Eine Zeitreise in die jüngere Vergangenheit unternehmen die achtjährige Lena und ihr elfjähriger Bruder Alexander in dem Sachbilderbuch „Erzähl mal, wie es früher war“. Hier erfahren sie in familiären Alltagssituationen von ihren Eltern und Großeltern, wie diese ihre eigene Kindheit und Jugend erlebt haben. Anschaulich wird geschildert, was man früher gespielt hat, wie mühsam Hausarbeit war, wie Mikrowelle, Waschmaschine und Geschirrspüler – überhaupt die gesamte rasante technische Entwicklung – das Leben verändert haben. Farblich abgehobene Infokästen erklären Kindern im Grundschulalter längst verschwundene Einrichtungen der Vergangenheit, wie den „Waschtag“, die „Gute Stube“, den „Tante-Emma-Laden“ oder geben noch weitere Zusatzinformationen. Eine hübsche Idee ist das beigefügte 30seitige Album, in dem die Kinder anhand vorgegebener Fragen „ihre“ Familiengeschichte aufschreiben können.

Karl May: Waldröschen 1 bis 9. Benu Verlag, Hildesheim 2012, broschiert, je 12,90 Euro; als Kindle eBook je 0,89 Euro

Jacob und Wilhelm Grimm: Die 100 schönsten Märchen der Brüder Grimm. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2013, gebunden, 344 Seiten, 25 Euro

Karlheinz Koinegg / Annelie Knoblauch: Geschichten von Rittern und Helden. der Hörverlag, München 2013, 7 Audio-CDs, 24,99 Euro

Karlheinz Koinegg: Die unglaublichen Abenteuer des Ritter Parzival. der Hörverlag, München 2007, 2 Audio-CDs, 14,95 Euro

Manfred Mai / Iris Wolfermann: Erzähl mal, wie es früher war. Ravensburger Verlag, Ravensburg 2013, gebunden, 72 Seiten, 14,99 Euro

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