© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Lückenhafte Verfassung der Meere
Aus deutscher Sicht fehlt dem UN-Seerechtsübereinkommen der nötige Biß / Kein übergreifender regulatorischer Ansatz
Christoph Keller

Mehr als ein Dutzend Gremien beraten die Bundesregierung. Über den Wert ihrer Aussagen und Empfehlungen läßt sich trefflich streiten. Etwa über den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dessen „fünf Wirtschaftsweise“ brachten es beispielsweise fertig, in ihren Gutachten weder vor der Weltfinanzkrise noch der Euro-Krise rechtzeitig zu warnen.

Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) steht zwar nicht unter dem Einfluß der Konzern- und Finanzlobby, doch auch er ist nicht völlig neutral und unabhängig. So ist der WBGU-Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, das für schwarzseherische Szenarien bekannt ist. Kein Wunder, daß das jüngste WBGU-Gutachten „Welt im Wandel: Menschheitserbe Meer“ noch pessimistischer klingt als der neue Sachstandsbericht des Weltklimarats (JF 47/13).

Die WBGU-Experten gehen vom ungeminderten Nutzungsdruck aus, der die ökologischen Funktionen der Ozeane bedrohe. Zahlreiche Fischbestände würden stark reduziert oder stünden vor der Ausrottung. Artenreiche Korallenriffe seien gefährdet oder bereits verschwunden. Die Einleitung von Nährstoffen, die Verklappung giftiger Stoffe und Abfälle sowie natürlich die „Versauerung“ der Meere als Folge anthropogener Treibhausemissionen gingen ungebremst weiter.

Das seit Jahrzehnten geknüpfte Netzwerk völkerrechtlicher Verträge, scheinbar vollendet durch das UN-Seerechtsübereinkommen (SRÜ), habe am „Meeresnotstand“ wenig geändert. Zu ausgedehnt seien die Management- und Schutzlücken, zu offensichtlich die Umsetzungs- und Vollzugsdefizite, zu schweigen von der Wirkungslosigkeit der UN-„Verfassung der Meere“ gegenüber küstenstaatlichen Nutzungsregimen.

Für Sabine Schlacke, Professorin für Umweltrecht in Münster und Mitglied des WBGU-Beirats, ist es jedoch die wesentlichste Schwäche des SRÜ, daß ihm ein „übergreifender, regulatorischer Ansatz“ fehle (Zeitschrift für Umweltrecht, 10/13). Hier bietet das Gutachten konstruktive Inhalte. Allerdings läßt sich auch in Schlackes zusammenfassender Zuspitzung nicht die unterschwellige Botschaft verkennen: „Am deutschen Umweltwesen soll die Welt genesen.“

Denn um die bestehenden „Governance-Lücken“ zu schließen, möchte der Beirat eine globale Meeresbehörde (World Oceans Organization/WOO) als Sachwalter für Meeresschutz und nachhaltige Bewirtschaftung ozeanischer Ressourcen etablieren. Diese Vision, so beruhigt Schlacke, ziele nicht auf den Aufbau einer „globalen Superbehörde“.

Kern des Projekts sei vielmehr sein „subsidiärer Ansatz“, eine Rhetorik, der sich freilich auch die Brüsseler EU-Architekten gern bedienen. Die eigentliche Sachwalterfunktion beim Meeresschutz sollten weiter die Nationalstaaten innehaben. Die WOO habe vor allem zu koordinieren, sie „kann die Vertragsstaaten aber auch kontrollieren“. Ob eine derartig verschärfte Globalisierung des Meeresumweltrechts realisierbar ist, ist indes zu bezweifeln, zumal Schlacke einräumt, daß schon eine Änderung des SRÜ „politisch sehr unwahrscheinlich“ sei.

Die Buchfassung des WBGU-Gutachtens: wbgu.de/hauptgutachten/hg-2013-meere/ Zeitschrift für Umweltrecht: www.zur.nomos.de

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