© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Herkunft und Zukunft im Blick
Laudatio II: Der Journalist und Politiker Konrad Adam würdigt das Lebenswerk von Karl Feldmeyer
Konrad Adam

Wer Feldmeyers Kommentare liest, fühlt sich an jene gute alte Zeit erinnert, in der die Politik noch zu den „moralischen“ Wissenschaften gezählt werden konnte: hatte sie doch mit Wünschen und Vorstellungen, mit Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten zu tun, die zu bewerten Sache der Ethik ist. Im Unterschied zu den Pragmatikern und Opportunisten, für die sich Politik auf eine Frage der Gelegenheiten beschränkt, macht Feldmeyer klar, daß sie ohne ein moralisches Fundament nicht auskommt. Und daß pragmatisches Durchwursteln, das so gern als Inbegriff konservativer Politik dargestellt wird, nur ein anderes Wort für Prinzipienlosigkeit und Pflichtvergessenheit ist. Am eindrucksvollsten tat er das in jenen Beiträgen, mit denen er die politische Kaste daran erinnerte, daß die Wiedervereinigung ein Auftrag für die heute lebende, nicht für irgendwelche späteren Generationen sei. Wort für Wort hat er die gewundene, um nicht zu sagen: verlogene Ausdruckweise zerpflückt, mit der sich die Parteien, allen voran die CDU, von einer Verpflichtung freizukaufen suchten, die ihnen lästig geworden war. Als ein Verfassungspatriot, der beides, die Verfassung und den Patriotismus, gleich ernst nahm, hat er die Einlösung des grundgesetzlich verbrieften Versprechens angemahnt – Jahr für Jahr. Und schließlich mit Erfolg.

Neben der Moral wird in Feldmeyers Kommentaren aber noch eine zweite Dimension spürbar, die in der Politik regelmäßig zu kurz kommt, ihr meistens sogar rundweg abgesprochen wird, ich meine die Ästhetik. Nichts hat ihn gegen Helmut Kohl, dessen Verdienste um die Wiedervereinigung er vorbehaltlos anerkannte, stärker aufgebracht als dessen eklatanter Mangel an Stil und Stilgefühl im Umgang mit den Spendengeldern, die er im Zuge der Einigungspolitik akquiriert hatte. Das berüchtigte Ehrenwort, mit dem Kohl unmißverständlich klargemacht hatte, daß ihm die Interessen der Partei höher standen als der Wortlaut der Verfassung, hat Feldmeyer als einen Tiefpunkt nicht nur der Moral, sondern auch der politischen Ästhetik beschrieben. In einem zornbebenden Artikel wurden Kohls zynische Ankläger über denselben Kamm geschoren wie seine selbstgerechten Verteidiger: Wer auf die Mißachtung von Recht und Gesetz nur mit Achselzucken und der wegwerfenden Bemerkung reagiere, so sei das nun mal in der Politik, verharmlose den skandalösen Vorgang genauso wie Kohls übereifrige Gefolgsleute, die sich mit der Entschuldigung zufriedengaben, der Mann habe sich doch nicht selbst bereichert. Eine solche Entschuldigung, die eben keine war, mache die Sache nur noch schlimmer, meinte Feldmeyer, da die Praxis der illegalen Parteienfinanzierung bekanntermaßen nicht auf persönliche Bereicherung ausgehe, sondern auf die gezielte Benachteiligung des politischen Gegners im Wettbewerb um den Besitz der Macht. Das aber sei ein Vorwurf von ganz anderem Gewicht als der letztlich banale Verdacht, Kohl könnte sich bereichert haben. Wer versuche, Kohl mit so törichten Argumenten herauszuhauen, begehe nichts anderes als ideellen Hochverrat an der Demokratie.

An solche, halb schon vergessenen Dimensionen der Politik hat uns Karl Feldmeyer immer wieder erinnert. Tatsächlich verkommt die Politik, wenn sie ihr moralisches Fundament vergißt und glaubt, auf ihre ästhetische Komponente verzichten zu können. Nur wer von beidem etwas weiß, zumindest ahnt, bleibt als Politiker empfänglich für etwas sehr Altmodisches, in Deutschland geradezu Verpöntes: für die Liebe zu Land und Leuten. Die spricht aus jeder Zeile von Karl Feldmeyers vielen und vielfältigen Texten. Wenn er davon berichtet, was er gesehen und gehört, was er gefühlt, erlebt und im Gespräch mit anderen erfahren hat, wird man von dieser Liebe immer etwas spüren. Man wird dann auch begreifen, warum die Liebe, die Zuneigung zu Land und Leuten, zu den genuin konservativen Tugenden gehört. Bewahren wird man ja nur das, was man auch liebt.

Und weil man nur das lieben kann, was man kennt, blickt der Konservative schärfer hin – und sieht deshalb ein bißchen weiter. Als alle anderen noch die Nischen priesen, in denen sich die DDR-Bevölkerung so bequem eingerichtet haben sollte; als es die grüne Parteienprominenz kaum erwarten konnte, von Erich Honecker zur Audienz empfangen zu werden; als die Anerkennung einer DDR-eigenen Staatsbürgerschaft für Oskar Lafontaine nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien; als CSU-Politiker stolz darauf waren, dem kränkelnden SED-Staat mit Milliarden-Krediten über die Runden zu helfen: da stellte Karl Feldmeyer kühl und sachlich fest, daß die DDR die Grenzen ihrer Möglichkeiten erreicht habe. Und so, in diesem Stil, nüchtern und mit klarem Blick, nicht bloß einmal, sondern immer wieder. Als seine Kollegen sich noch mit Lobgesängen auf Kohls souveräne Parteiherrschaft hervortaten, beschrieb Feldmeyer die CDU als eine Einmannpartei, die Geschlossenheit nannte, was Ausdruck von Langeweile und Zynismus war. Beim staatlich organisierten Freudentaumel über die Einführung des Euro konnte und wollte ein Mann wie er schon gar nicht mitmachen. Er hatte vorausgesehen, was allerdings die meisten unter uns immer noch nicht wahrhaben wollen: daß der Marsch in die Schulden- und Haftungsunion unmittelbar bevorstand. Das typische Schicksal eines Konservativen: er kann sich rühmen, mit seinen Warnungen und Vorbehalten recht behalten zu haben, wird damit aber selten glücklich.

Er muß damit zufrieden sein, beim Nachsinnen über die Vergangenheit den Blick für die Zukunft zu schärfen. Thomas Mann ging so weit, die Wörter Zukunft und Konservatismus kurzzuschließen. Das war vielleicht zu hoch gegriffen, trifft aber doch den Kern der Sache, weil wir ja erst im Blick zurück die Maßstäbe gewinnen, die uns erlauben, uns über die Zukunft mehr als nur beiläufige Gedanken zu machen. Nur so können wir Voraussagen riskieren, die mehr sind als billige Extrapolation der Gegenwart. Herkunft und Zukunft sind eben nicht nur sprachlich eng verwandt, sie gehören auch inhaltlich zusammen. Diesen unbefangen das Kommende im Lichte des Vergangenen betrachtenden Blick hat Karl Feldmeyer immer wieder bewiesen. Er hat ihn vor der Versuchung bewahrt, als Journalist zu einem dienstbaren Medium der Politik zu werden. Dafür sind wir ihm dankbar.

 

Dr. Konrad Adam schrieb als Journalist lange Jahre für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Heute ist er einer von drei Sprechern der Alternative für Deutschland.

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