© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Eine neuerwachte Liebe
Studie: Deutsche sind besser als ihr Ruf, sie schätzen die Freiheit wieder mehr, die meinungsbildenden Medien hingegen eher nicht
Ronald Gläser

In einigen Berliner Bezirken ist es Immobilieneigentümern neuerdings untersagt, Kamine in ihre Wohnungen einbauen zu lassen. Das gleiche gilt für moderne Hänge-Klosetts, Fahrstühle, Anwohnerparkplätze. Ja, selbst Fliesen im Bad sind ab einer bestimmten Höhe untersagt. Von bereits existierenden und geplanten Verboten bei der Festlegung der Miete ganz zu schweigen.

Ist Deutschland ein Land der Verbote? Zählt die Freiheit gar nichts? Das John- Stuart-Mill-Institut mißt regelmäßig den Wert, der der Freiheit von den Deutschen beigemessen wird. Die Ergebnisse mehrerer Indizes werden in einer Zahl verdichtet – dem Freiheitsindex. 2013 liegt dieser im roten Bereich: minus 2,7.

Im Netz wurde die Studie aufgrund dieser Negativzahl und zuspitzender Berichte als Beleg für eine steigende Staatsgläubigkeit interpretiert und negativ kommentiert. „Deutsche wünschen sich mehr Verbote“, titelte die Welt und gab die Richtung der Debatte vor. Ein Blick in die Studie „Freiheitsindex Deutschland 2013“ indes zeigt, daß die Zahlen keine so deutliche Sprache sprechen. Im Gegenteil: Der Index gibt sogar Anlaß zur Hoffnung. Den Verbotsdiskussionen und der Obrigkeitshörigkeit zum Trotz. Das Institut für Demoskopie Allensbach fragt seit 1955 die grundsätzliche Einstellung der Bürger zur Freiheit ab. Die Befragten sollen entscheiden, welche Aussage eher zutrifft: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ oder „Die einen sind oben, die anderen sind unten“?

Die optimistische Sichtweise wurde jahrzehntelang sehr viel höher bewertet als die fatalistische, etwa 65 zu 25 Prozent. Vor 30 Jahren stürzte sie dann ab und erreichte während der Finanzkrise 2008 ihren Tiefpunkt. Seitdem erholt sich diese tendenziell freiheitsliebende Aussage im Ansehen der Deutschen stetig. Besonders erfreulich: In den östlichen Bundesländern hat die Freiheit endgültig das Rennen gegen die Verbotskultur gewonnen. Die Verhältnisse in der früheren DDR haben sich glatt ins Gegenteil gedreht.

Die zweite Frage an die 1.550 Befragten lautete noch konkreter, ob im Zweifelsfall die Freiheit oder die Gleichheit vorzuziehen sei. Der Sieg ging zum fünften Mal in Folge an die Freiheit (47 zu 36), bei steigender Tendenz. Erst der dritte Teil der Befragung bezog sich auf mögliche Verbote. Hierbei ergab sich ein Sammelsurium an möglichen Verboten (zum Beispiel Drogen, Gewaltfilme, extreme Parteien), die immer wieder gefordert werden und auf die sich diesmal die öffentliche Debatte konzentrierte.

In den Freiheitsindex fließen aber noch weitere Informationen mit ein: So wurde das persönliche Freiheitsempfinden abgefragt („Fühlen Sie sich frei?“, „Können Sie Ihre Meinung frei sagen?“). Hieraus ergab sich, daß die Deutschen mehrheitlich zufrieden sind, sich überwiegend frei fühlen.

Bemerkenswert, aber in der Diskussion weitgehend unberücksichtigt, ist die Rolle der Medien. Zur Analyse wurden vier Zeitschriften und Zeitungen untersucht: Der Spiegel und die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Ergebnis: Der Stellenwert, den diese Publikationen im Untersuchungszeitraum der Freiheit beimaßen, war sehr negativ. Zitat aus der Studie: „Wie 2011 und 2012 dominiert auch in diesem Jahr die Perspektive des Verbots gegenüber derjenigen der Selbstbestimmung.“ Zwei Drittel aller Artikel, die sich mit Verboten befaßten, näherten sich dem Gegenstand von der Verbotsseite.

Diese negative Berichterstattung zieht den Gesamtindex ins Minus. Mit anderen Worten: Die Deutschen sind im großen und ganzen eher pro Freiheit. Der Trend geht gegen die Verbotsgesellschaft. Das geistige Klima des Landes wird durch die meinungsbildenden Pressekonzerne in die entgegengesetzte Richtung gesteuert. Wobei erwähnt werden muß, daß alle vier Publikationen sinkende Auflagenzahlen aufweisen und daher einen schrumpfenden Einfluß auf die Meinungsbildung haben dürften.

Zusätzlich wurden die Befragten auch noch auf die Europäische Union angesprochen. Hier zeigt sich eine überraschende Übereinstimmung von positiver Einstellung zur Freiheit einerseits und zur EU andererseits. Offenbar nehmen viel weniger Bürger die EU als drangsalierendes „Monster“ wahr, sondern halten sie wegen der Freizügigkeit eher für eine Chance. Der Anteil derjenigen, die sich ein schnelleres Tempo bei der Integration wünschen, ist jedoch seit der Wiedervereinigung mit einem Schlag drastisch gesunken. Daran hat sich seit 1991 nichts geändert. Und das Mißtrauen in EU-Behörden ist nach wie vor sehr groß.

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Verbotsgesellschaft

Die Deutschen fordern eine Reihe von Verboten (rechts). Viele Zeitungsartikel werden zudem von einer „Perspektive des Verbots“ dominiert (unten). Trotz allem sind die Deutschen skeptisch gegenüber einer weiteren Ausweitung von EU-Kompetenzen (unten rechts)

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