© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Der Riese ist aufgewacht
Belletristik trifft auf Wirklichkeit: Der Roman „Die Todesliste“ des englischen Schriftstellers Frederick Forsyth schildert den Kampf gegen den Terror aus Sicht eines US-Agenten
Ronald Gläser

Daniel Priest betritt das Wohnzimmer von Muscharraf Ali Schah, einem Oberstleutnant der pakistanischen Armee. Er plaudert mit der Frau des Offiziers, der nicht anwesend ist – er weilt beim Freitagsgebet –, und läßt sich ein Foto ihres Sohnes Zulfikar zeigen. Da läutet es an der Tür, und die Hausherrin verläßt das Wohnzimmer. Priest zückt sein iPhone, fotografiert das Bild des Jungen und verabschiedet sich hastig. Er hat, wonach er gesucht hat.

Priest ist nicht der Journalist, als der er sich ausgegeben hat, sondern ein amerikanischer Agent und Angehöriger des Marine Corps namens Kit Carson. Sein Spitzname: der Spürhund. Sein Auftrag: Eliminiere den Jungen auf dem Foto, der inzwischen längst zu einem gefährlichen Haßprediger geworden ist.

Es gibt nur die Youtube-Filme, auf denen der Prediger wie Kanzler Palpatine mit einer Kapuze verhüllt zu sehen und daher nicht zu erkennen ist. Keiner weiß, wer er ist und von wem die Dateien ins Netz gestellt werden. Die erste Spur führt nach Afghanistan und von dort nach Afrika.

Das ist der Stoff des Frederick-For-syth-Romans „Die Todesliste“. Diese Liste ist nicht so fiktiv wie der neue Thriller des 75jährigen Erfolgsautors. Das Weiße Haus führt bekanntlich eine Fahndungsliste von Terroristen, die ohne Gerichtsverfahren sofort zu töten sind. So wie Osama bin Laden. Darunter sind auch amerikanische Staatsbürger.

Dabei ist in dem Roman, der 2014 spielt, von al-Qaida nicht mehr viel übrig. Die einst mächtige Terrororganisation hat so abgewirtschaftet, daß sie keinen einzigen echten Bombenanschlag mehr hinbekommt. Statt dessen schickt sie Selbstmordattentäter in England und Amerika mit Messern und Pistolen los. Verrückte, die sich selbständig radikalisiert haben, oft Asylanten im Westen. Es gibt nur eine Handvoll Tote. Angestachelt wurden die Mörder durch den Prediger, der im Netz seine Haßbotschaft verbreitet. Eines Tages beschließt der US-Präsident, ihn auf die Todesliste zu setzen.

Kit Carson wird auf den Fall angesetzt. Für den Elitesoldaten wird die Jagd zu einem persönlichen Rachefeldzug. Nur selten dringt er undercover in fremde Wohnzimmer ein wie in der eingangs geschilderten Schlüsselszene in Islamabad. Den Großteil der Arbeit bewerkstelligen ein kleines Computergenie in Virginia, eine Drohne über dem afrikanischen Luftraum und die NSA.

„Die Todesliste“ bezieht klare Position. Formal wird die Handlung wie Filmszenen aus mehreren Perspektiven geschildert. In Wirklichkeit wird nicht ein einziges Mal kritisch hinterfragt, wie es zu diesem Kampf der Kulturen kommen konnte. Oder welche Rolle der imperialistische Außenpolitik die USA im Nahen Osten spielt.

Die Feindbilder sind so klar verteilt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr: hier die Guten im Westen, dort die bösen Fundamentalisten in der arabischen Welt. „Endlich sei der Riese aufgewacht“, schreibt Forsyth über die Auswirkungen des 11. September auf den amerikanischen Militärapparat. So, als hätte es vorher keine amerikanischen Interventionen gegeben.

Nur einmal läßt er Kritik am Überwachungsstaat durchschimmern, der für den Kampf gegen den Terror geschaffen worden ist. Die Paranoia der USA nach den Anschlägen des 11. September sei einhergegangen mit einer „explosiven Expansion der Welt der Nachrichtendienste“.

Der Roman kann nicht losgelöst von den Snowden-Enthüllungen gelesen werden. Geht es darum, die Schurken zu ergreifen, so sind die Geheimdienstaktivitäten natürlich gerechtfertigt. Wer jedoch abstrakt die geschilderte Vorgehensweise der Dienste analysiert, dem wird angst und bange. Die Stasi war nichts dagegen. Unsere gesante Telekommunikation wird überwacht. Es gibt Drohnen, die jeden Winkel der Erde abfilmen und eine offizielle Todesliste. Übrigens hat Präsident Barack Obama pünktlich zur Buchveröffentlichung auch noch bekundet, er sei „gut darin, Menschen zu töten“. Das war gemünzt auf seinen Drohnenkrieg in Asien und Afrika. Und das alles wird eingesetzt gegen Leute, die lediglich Gedankenverbrechen begangen haben.

Der Prediger hat nur Propaganda ins Netz gestellt. Mehr nicht. Trotzdem wird er von einem britisch-amerikanischen Fallschirmjägerkommando, das auf dem Abflug Wagners Walkürenritt hört, ohne Gerichtsverfahren liquidiert. Das ist beängstigend. Wo ist der qualitative Unterschied zu Hitlers Kommissarbefehl, der die Erschießung von Politkommissaren verlangte? Es gibt keinen. Töten ist zum täglichen Geschäft der Geheimdienste geworden, und dieser Roman liefert ihnen bei ihrer Rechtfertigung das argumentative Beiwerk. Der Kampf gegen den Terror bedarf aus Sicht der Dienste der Massenüberwachung unserer Telefone, Handys und Computer. Forsyth schreibt: „Der kommerzielle und industrielle Verkehr im Cyberspace ist so gewaltig, daß er nicht gründlich kontrolliert werden kann.“

Dabei hört in dieser paranoiden Welt schon jeder jeden ab: die Israelis die Amerikaner und die wiederum die Briten – und umgekehrt. Ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl werden Wohnungen verwanzt und Leute auf offener Straße gekidnappt. All das, um einen Verrückten im Nahen Osten davon abzuhalten, seine Clips ins Netz zu stellen.

Der Unterhaltungswert wird dadurch allerdings nicht beeinträchtigt. Forsyth versteht es, gerade auch den deutschen Leser für sich zu gewinnen – mit Anspielungen auf die „teutonische Ordnung“, Anekdoten von Markus Wolf und Erwin Rommel. Zudem hat er sich ein Detailwissen über die Arbeitsweise von Militärs und Geheimdiensten erworben, das den Leser sprachlos macht.

Frederick Forsyth: Die Todesliste. Bertelsmann, München 2013, gebunden, 319 Seiten, 19,99 Euro

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