© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Die reflexive Seite des Glaubens
Harald Seuberts Studie über das Verhältnis von Religion und Vernunft setzt neue Maßstäbe
Felix Dirsch

Die Korrelation von Glaube und Vernunft war das vielleicht wichtigste Thema des Pontifikats Benedikts XVI. Er hat das rechte Verhältnis zwischen beiden als Antidotum gegen die postmoderne „Diktatur des Relativismus“ verstanden, die aufgrund der von ihr negierten Möglichkeit einer absoluten Wahrheit eine geglückte humane Existenz nachhaltig gefährden müsse. Herausgestellt hat der frühere Papst diesen Zusammenhang, der maßgeblich auf abendländisches Erbe Bezug nimmt, besonders in seiner heftig attackierten Regensburger Rede von 2006.

Angesichts einer solchen Zeitgeistsignatur ist es zu begrüßen, daß der Philosoph Harald Seubert ein magistrales Buch vorgelegt hat, das schnell zum Standardwerk avancieren dürfte. Seit längerem schon wartet die Fachwelt auf eine Studie, die das schwer überschaubare Terrain vermißt. Zuletzt hat das in größerem Stil der Philosoph Richard Schaeffler vor dreißig Jahren versucht, wenngleich seine „Religionsphilosophie“, die mehrmals aufgelegt wurde, bei weitem nicht so viele Facetten der Materie reflektiert wie die Abhandlung Seuberts. Selbst das Lehrbuch „Religionsphilosophie“ von Hermann Deuser aus dem Jahre 2009 konnte die Ansprüche der Fachwelt nicht ganz erfüllen.

Was fasziniert nun an der gewichtigen Untersuchung Seuberts? Der seit kurzem in Basel tätige Gelehrte verbindet in lobenswerter Weise eine systematische Reflexion mit einer historischen. Schon die Einleitung belegt, daß er auf der Klaviatur der Religionsphilosophie virtuos zu spielen vermag. Umfangreiche und komplizierte Begrifflichkeiten werden prägnant dargestellt, der Standort der Disziplin in der Moderne inhaltsreich beschrieben. Vornehmlicher Gewährsmann ist der heute nur noch Fachleuten bekannte Heinrich Scholz, der immerhin an drei verschiedenen Fakultäten Ordinariate bekleidete, mit seiner Unterscheidung von konstruktivem und rezeptivem Typus der Religionsphilosophie.

Der materialreiche erste Teil erörtert die wechselnden Konstellationen zwischen Glaube und Vernunft. Der Verfasser vermeidet im Titel seines Buches mit Recht den Hinweis auf eine Religionsphilosophie, deren Genese – im engeren Sinn verstanden – erst „nach der Aufklärung“ (Hermann Lübbe) beginnt. Die Analysen setzen schon mit Platon und Aristoteles ein, deren Mythenkritik bleibende Relevanz erhält. Auch die weiten Perioden von Mittelalter und rationalistisch-aufgeklärtem Blick auf die Religion werden ausführlich berücksichtigt.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die idealistische Reflexion und im Anschluß daran der „revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts“ mit Marx, Kierkegaard und Nietzsche, den Karl Löwith vor über einem halben Jahrhundert grundlegend behandelt hat. Als Schlüsselfigur der neueren Debatte zwischen Religion und Philosophie wird mit Recht Ludwig Wittgenstein herausgestellt. Besonders zu betonen sind die detaillierten Anmerkungen des Autors über den religionsphilosophischen Diskurs der Gegenwart, an dem er selbst häufiger teilgenommen hat. Man lese lediglich seinen Disput mit dem Münchner Philosophen Bruno Puntel. Selbst ein die Fachwelt so elektrisierendes Thema wie die Rezeption des Apostels Paulus seitens einiger atheistischer Denker, etwa bei Alain Badiou, als quasi neuem Kirchenvater wird nicht ausgelassen.

Der zweite Teil der Monographie erörtert unterschiedlichste Themen, darunter aktuelle Kontroversen auf dem Feld der Politischen Philosophie und des interkulturellen Gesprächs. Aus diesen Debatten ragen Namen wie Richard Rorty, Jürgen Habermas und Gianni Vattimo hervor. In einem der letzten Kapitel wird der in der Gegenwart fundamentale Diskurs zwischen den „Weltreligionen“ in der globalen Welt eindringlich dargestellt.

Diese Passage ist nicht zuletzt deshalb beeindruckend, weil sie – obgleich primär religionswissenschaftlich und historisch ausgerichtet – ebenso aussagekräftig ist wie die mehr religionsphilosophisch gehaltenen. Hier wird mehr Einführendes geboten als in den stärker philosophisch orientierten Partien. Erfreulich ist, daß Seubert es an klaren Wertungen nicht fehlen läßt. So werden die offenkundigen Schwächen des wirkmächtigen Küngschen „Projekt Weltethos“, welches den Glutkern der Weltreligionen mit voller Absicht marginalisiert, wenn nicht ignoriert, klar benannt. Ein Epilog, der das Verzeichnis ausgewählter Literatur und Bildquellen umfaßt, rundet die Ausführungen ab.

Vor einem sei der potentielle Leser gewarnt: So sehr der Kenntnisreichtum der Darstellung auch besticht, sie ist alles andere als leichte Kost. Das hängt auch damit zusammen, daß der Verfasser keine Entfremdung zur Fachterminologie offenbart. Wer die tiefgründige Studie ausloten will, braucht Zeit und Muße. Das gilt selbst für Kenner der Materie. Aber die Mühe lohnt. Da Seubert im besten Professorenalter steht, darf sich seine zunehmende Fangemeinde auf weitere Schriften aus seiner Feder freuen.

Harald Seubert: Zwischen Religion und Vernunft. Vermessung eines Terrains. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2013, gebunden, 708 Seiten, 98 Euro

Foto: Camille Flammarions Holzstich von 1888; Blick des Hubble-Teleskops ins Universum: Was steckt dahinter?

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