© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

„Der nächste Schuß muß sitzen“
Parteitage: Die Alternative für Deutschland zwischen Personalquerelen und Europawahlkampf
Hinrich Rohbohm / Otto W. Kaiser / Marcus Schmidt

Am Ende wirkt Frauke Petry resigniert. „Das hier war alles andere als eine ruhmreiche Veranstaltung“, faßt die Sprecherin der Alternative für Deutschland (AfD) am Wochenende ihren Eindruck vom Gießener Landesparteitag der hessischen AfD zusammen. Die 38jährige sitzt als Vertreterin des Bundesvorstands auf dem Podium. Hilflos muß sie miterleben, wie Mitglieder sich anschreien und verbal aufeinander losgehen.

Da war bereits der gesamte Landesvorstand zurückgetreten, der Verband führungslos. Dem Eklat vorausgegangen war in den vergangenen Wochen ein auch juristisch ausgetragener Streit an der Parteispitze, an dessen Ende von den einstmals elf Vorstandsmitgliedern fünf übriggeblieben waren. Die Vorstandsmitglieder Wolfgang Hübner, Heiner Hofsommer, Daniela Hortelano sowie P. Reimers hatten am 30. Oktober schriftlich erklärt, bis auf weiteres nicht mehr an Landesvorstandssitzungen teilzunehmen. Sie wollten damit Druck auf den restlichen Vorstand um die Sprecher Albrecht Glaser, Eberhard von dem Bussche und Simon Roger ausüben und eine Neuwahl der Parteispitze erzwingen. Diesen warfen die Kritiker um Hübner und Hofsommer schwere Versäumnisse vor. So hätten es die Sprecher versäumt, die hessische AfD inhaltlich zu positionieren. Zudem sei der Wahlkampf in Hessen, wo die AfD parallel zur Bundestagswahl zur Landtagswahl angetreten war, dilettantisch organisiert worden. Die Worte „Egomanen“ und „Profilneurotiker“ machten in der Partei die Runde.

Die drei Sprecher weisen die Vorwürfe zurück und unterstellen den Kritikern unter anderem, aus persönlichen Motiven gegen die für zwei Jahre gewählte Parteispitze zu schießen. Da mindestens zwei Drittel des Vorstandes bei Sitzungen anwesend sein müssen, um Beschlüsse fassen zu können, war der fünfköpfige Restvorstand handlungsunfähig geworden. Mit seinem kompletten Rücktritt auf dem Parteitag wollte er einen Neuanfang ermöglichen. Hübner, Hofsommer Hortelano und Reimers steckten für ihr Vorgehen auch Kritik ein. Von zahlreichen Mitgliedern mußten sie sich den Vorwurf anhören, die AfD in ihrer Arbeit zu sabotieren. „Das ist nicht akzeptabel. Wenn diese Leute der Meinung sind, es geht nicht mehr, dann müssen sie wenigstens bereit sein zurückzutreten“, sagte ein aufgebrachtes Mitglied der JF.

Im Laufe des Parteitages spielen sich in der Mehrzweckhalle von Gießen-Allendorf tumultartige Szenen ab. Mitglieder mit unterschiedlichen Auffassungen schreien sich an, beschimpfen sich. Anwesende Rechtsanwälte überbieten sich in juristischen Spitzfindigkeiten bei der Auslegung der Satzung. „Das ist alles ein bißchen wie Kindergarten“, sagt ein AfD-Mitglied sichtlich genervt.

Vor allem die Frage, ob ein komplett neuer Vorstand gewählt werden darf, obwohl in der Einladung zum Parteitag nur Nachwahlen angekündigt waren, erhitzt die Gemüter. Auch Tagungspräsident Peter Münch, selbst Jurist, läßt sich von der emotional aufgeladenen Stimmung anstecken. Als sich schließlich Glaser, von dem Bussche und Roger erneut zur Wahl stellen, verlassen zahlreiche AfD-Mitglieder in Scharen den Saal. Die drei zurückgetretenen Sprecher wollten sich nur als Block dem Votum der Mitglieder stellen. Da von den 426 anwesenden Mitgliedern 155 der Versammlung den Rücken gekehrt hatten, war der Parteitag beschlußunfähig. Eine Neuwahl war somit unmöglich. Ratlosigkeit macht sich breit. „Könnte nicht der Bundesvorstand für eine Übergangsphase den Landesverband führen?“ fragt jemand in die Menge. Abwehrende Hände und entschiedenes Kopfschütteln bei Frauke Petry, die auf dem Parteitag als einzige eine gute Figur abgibt. „Sie spalten gerade ihren Landesverband. Wir schauen nicht mehr auf unsere politischen Ziele, es geht nur noch um Persönliches“, führt sie den Mitgliedern die verfahrene Situation vor Augen. Für den 14. Dezember ist nun ein neuer Parteitag geplant. Dann will der 2.000 Mitglieder starke Landesverband einen neuen Vorstand und die Delegierten für den Bundesparteitag Ende Januar wählen.

In weit geordneteren Bahnen verlief dagegen der Landesparteitag der AfD Baden-Württemberg in Pforzheim. Im neuen Vorstand finden sich seit dem vergangenen Wochenende deutlich mehr Personen, die dem konservativen Lager zuzurechnen sind. Sprecher Bernd Kölmel wurde mit 69 Prozent der Stimmen bestätigt. Die bisherige Ko-Sprecherin Elke Fein aus Freiburg hatte sich dagegen mit linksliberalen Ansichten an der Parteibasis unbeliebt gemacht und nicht wieder kandidiert. Gleichberechtigter Sprecher wurde Jens Zeller, Arzt und Krebsforscher aus Heidelberg. Dieser freute sich darüber, daß die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) mit Markus Frohnmaier und Anna Schupeck ebenfalls im neuen Vorstand vertreten ist. Von einer Korrektur oder Verschiebung hin zum konservativen Lager wollte Kölmel zwar nicht sprechen. Der neu gewählte Vorstand sei jedoch „deutlich wertkonservativer und rechtsliberaler“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Insgesamt sei die Zusammensetzung eine „gute Mischung“, die das breite politische Spektrum des Landesverbandes abbilde.

Ganz reibungslos war der zweitägige Parteitag dennoch nicht verlaufen. Am Samstag lähmten die Teilnehmer die Veranstaltung mit Debatten zur Tagesordnung. Einige Mitglieder wollten einer programmatischen Aussprache den Vorrang geben. „Es hat sich gezeigt, daß wir eben eine junge Partei sind“, sagte Kölmel. Am Sonntag übernahm AfD-Sprecher Bernd Lucke das Tagungspräsidium und brachte auch wieder Ordnung und Tempo in die Tagesordnung.

In seiner Rede schwor er den Landesverband auf die Europawahl im Mai des kommenden Jahres ein: „Das Jahr 2014 ist das Jahr, in dem sich das Schicksal der Alternative für Deutschland entscheidet“, sagte Lucke. Nach dem knapp verfehlten Einzug in den Bundestag „muß der nächste Schuß jetzt sitzen.“ Er gab sich optimistisch, daß die AfD bei den Europawahlen „sehr erfolgreich sein wird.“ Mit den anschließenden Landtagswahlen in drei Bundesländern werde es „eine politische Zeitenwende“ geben. „Die Angst sitzt den Parteien doch im Nacken“, sagte Lucke.

Foto: Schlaffes AfD-Transparent in Gießen: Tumultartige Szenen in der Mehrzweckhalle

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