© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Auszählung im Hinterzimmer
Regierungsbildung: Nicht nur die SPD-Führung wartet gebannt auf den Ausgang der Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag
Paul Rosen

Wenn Sigmar Gabriel ein Spieler ist, dann ist der SPD-Chef ein sehr erfolgreicher Spieler. Im Koalitionsvertrag erkennen sich CDU und CSU faktisch nicht mehr wieder. Die Union kann sich nur noch darauf berufen, was nicht geregelt ist: Von Steuererhöhungen steht nichts im Vertrag und von der Abschaffung des Ehegattensplittings auch nicht. Und jetzt kommt es noch zur seltsamsten Allianz seit den ersten schwarz-grünen Anbandelungen: Der frischgewählte stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler unterstützt Gabriel bei dessen Vorhaben, die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen zu lassen.

„Der Vorwurf, die SPD-Parteimitglieder seien nicht legitimiert, über eine Regierungsbildung zu befinden, geht ins Leere“, befand Gauweiler und trumpfte auf: „Wir hatten in der Bundesrepublik auch die Situation, daß sich letztlich der 20köpfige FDP-Bundesvorstand festgelegt hat, ob es eine schwarz-gelbe oder eine rot-gelbe Koalition gibt. Da waren Zweifel an der Legitimation mindestens genauso angebracht“, sagte er dem Handelsblatt.

Zu dieser Koalition der Eigenwilligen gesellt sich auch Gauweilers Chef Horst Seehofer, der in einem Brief an das ZDF Gabriel vor kritischen Fragen der Journalistin Marietta Slomka nach verfassungsrechtlichen Bedenken in Schutz genommen hatte. Seehofer wies die Frage von Slomka, die schon Gabriel als „Quatsch“ bezeichnet hatte, als „absurd“ zurück und betonte mit Blick auf die Abstimmungen in der Union: „Wenn ein Mitgliederentscheid verfassungsrechtlich fragwürdig ist, dann sind’s unsere Veranstaltungen gleich doppelt und dreifach.“ Gabriel hat damit bereits die nächste Runde gewonnen. Bei solch neuen Freunden muß sich der wegen der verfassungsrechtlichen Kritik dünnhäutig gewordene SPD-Chef nicht mehr ganz so große Sorgen machen, mit seinem Mitgliederentscheid isoliert dazustehen.

Danach hatte es eine Zeitlang ausgesehen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der die Dinge noch so nennt, wie sie sind und nicht wie sie sein sollen, hatte den Mitgliederentscheid scharf kritisiert. Eine kleine Minderheit könne dann eine klare Präferenz von 61 Millionen Wahlberechtigten korrigieren: „Das hielte ich für fragwürdig“. Lammert sagte weiter, die Befragung berge ein hohes Risiko für die SPD-Führung und sei auch demokratietheoretisch nicht über jeden Zweifel erhaben. Der Bundestagspräsident erinnerte, daß der Mitgliederentscheid gültig sei, wenn 100.000 Mitglieder (20 Prozent) mitmachen. Und schon eine Mehrheit von 50.000 Stimmen würde für einen Beschluß über eine Koalition reichen.

In diese Richtung geht auch die Argumentation des bekannten Staatsrechtlers Christoph Degenhart, der seine Bedenken auf den Artikel 38 des Grundgesetzes stützt. Darin heißt es, Abgeordnete seien an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Der Mitgliederentscheid habe jedoch zu stark „das Gewicht eines unmittelbaren Auftrages der Parteibasis an die Abgeordneten“ und gebe das Abstimmungsverhalten bei der Kanzlerwahl vor, so Degenhart im Tagesspiegel. Er sieht eine „Nähe zum imperativen Mandat, die das Grundgesetz nicht will“.

Natürlich kann man argumentieren wie SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die feststellt: „So viel Macht hatten die Mitglieder noch nie.“ Andererseits ist der Mitgliederentscheid von einem Plebiszit so weit entfernt wie der Mond von der Erde. Denn Kritiker verweisen darauf, daß nun nur ein Bruchteil der SPD-Wähler maßgeblich über die Regierungsbildung entscheiden. Eine Aufgabe, die laut Grundgesetz nur dem Bundestag zusteht. Hinzu kommt, daß die Stimmzettel einer Abstimmung, die das ganze Land betrifft, in Hinterzimmern von Angehörigen nur einer Partei ausgezählt werden. Da kommen ungute Gefühle auf. Außerdem kann man sicher sein, daß Mitglieder der großen Parteien und Bürger insgesamt nie in die Verlegenheit kommen werden, über Ausländerpolitik, Schwulenehe, Europa- und Währungsfragen abstimmen zu dürfen. Das knappe Ergebnis der FDP-Mitgliederabstimmung zum Euro-Rettungsschirm sitzt den anderen Etablierten noch heute in den Knochen.

Gabriel stempelt die Argumente von Degenhart als „Blödsinn“ ab. Er ist dabei, die nächste Runde zu gewinnen und sieht dem Ergebnis des Mitgliederentscheids, das am 15. Dezember veröffentlicht werden soll, gelassen entgegen. Nach Umfragen von Forschungsgruppe Wahlen und Emnid ist eine große Mehrheit der SPD-Mitglieder für die Große Koalition. Und auch auf den SPD-Regionalkonferenz bleibt der Aufstand der Basis gegen die Parteiführung aus. Das Risiko die Partei mit einem Nein auf einen Schlag zu enthaupten ist den Genossen dann wohl doch zu groß.Und darauf setzt Gabriel. Daß bei der ganzen Operation Verfassung und Staatsaufbau in Mitleidenschaft gezogen werden, ist ihm egal. Er ist Zocker, kein Staatsmann.

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