© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Ein Hauch von Bronx
Einwanderer: Berlin hat ein Afrikaner-Problem, der Senat schwankt zwischen Durchgreifen und Wegschauen
Ronald Gläser

Abdul legt ein paar Holzscheite nach. „Es ist kalt“, murmelt er und reibt sich die Hände am offenen Feuer. Flammen lecken an den zersägten Einzelteilen einer Europalette. Ein Hauch von Bronx – mitten in Berlin.

Das Lager der Afrikaner am Kreuzberger Oranienplatz ist längst zur Normalität geworden. Passanten überqueren tagsüber den Platz, als wäre nichts. Und selbst nachts ist es vergleichsweise friedlich. Wenn nicht gerade die autonome Szene mobil macht und Straßenschlachten mit der Polizei anzettelt.

Dabei ist nichts normal an diesem „Flüchtlingslager“. Der ungeklärte Aufenthaltsstatus der Schwarzafrikaner ist das eine. Die konkreten Lebensumstände das andere. Die Männer sind alle gut gekleidet, viele haben große Uhren und spielen mit Handys herum. Aber sie leben in Zelten und wollen ihr Camp als Protest-aktion verstanden wissen. „Kein Mensch ist illegal“ steht auf einem Transparent.

Die Afrikaner fordern Aufenthaltsrecht, Wohnung und Arbeit – und zwar mit den Worten übereifriger deutscher Politikstudenten. Ihre Freunde haben den Afrikanern sicherlich auch bei ihrer jüngsten Erklärung geholfen, in der Abdul und seine Leute die Unterstellung, von „linksextremen Unterstützern_Innen“ instrumentalisiert zu werden, entschieden zurückweisen.

Nicht alle sind so hartnäckig wie die etwa zwanzig Männer, die noch in den Zelten ausharren. Andere haben ein Angebot des Senats angenommen und sind in ein festes Winterquartier im Stadtteil Wedding (Bezirk Mitte) umgezogen. Der Plan des Senats ist trotzdem nicht aufgegangen. Einige Standhafte blieben auf dem Platz, andere sollen neu dazugekommen sein. Auf jeden Fall geschah dies: Als die Polizei an einem Sonntagabend nach dem Umzug kam, stellte sie fest, daß mehrere Zelte noch oder schon wieder bewohnt waren. Sofort gesellten sich Hunderte Linksradikale dazu, die die angesetzte Räumung verhinderten. Bilanz des Abends: 31 verletze Polizeibeamte.

Im Wedding ist davon nichts zu spüren. 80 Afrikaner fanden hier eine vorübergehende Bleibe in einem leerstehenden Seniorenheim der Caritas. Das Haus dient der sogenannten Kältehilfe, also Obdachlosen, die im Winter erfrieren würden. Jetzt sind Afrikaner hier untergebracht, von denen einige eigentlich eine Bleibe haben. Aber sie lehnen die sogenannte Residenzpflicht ab und wollen in Berlin statt in Bayern untergebracht werden. Unter ihnen auch einige, die gar nicht am Oranienplatz gewesen sind.

Diese Trittbrettfahrer haben von dem Heim gehört – der Senat hatte eine Pressemitteilung dazu verfaßt – und sind schnell dort eingezogen, bevor die Männer vom Oranienplatz ankamen. Ein Teil der Leute mußte daher andernorts untergebracht werden. Mit Taxen wurden sie durch Berlin gekarrt. Niemand weiß genau, wer zur Oranienplatz-Gruppe gehört und wer nicht. Es gibt ja keine Mitgliederlisten. Illegal sind sowieso die meisten von ihnen. Die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann (Grüne) sagte im Interview mit der B.Z., die Afrikaner hätten die Ausgabe eigener Ausweise erörtert, die Idee aber nicht verwirklicht. Sie sagt das, als wäre es das Normalste von der Welt, daß illegale Einwanderer ihre eigenen Papiere anfertigen.

Für den Lokalpolitiker Thorsten Reschke, der die CDU-Fraktion in Mitte vertritt, ist das Ganze ein Skandal: „Die Bankrotterklärung der Bezirksbürgermeisterin und ihres unsäglichen Vorgängers geht zu Lasten des Bezirks Mitte.“ Reschke macht auch seinem Ärger über seinen Parteifreund Sozialsenator Mario Czaja Luft. Dieser sei „offensichtlich überfordert“. Es stehe zu befürchten, daß aus dem Provisorium eine Dauereinrichtung werde.

Am Montag, zur Mittagszeit, sieht es ein bißchen danach aus. Ein Kleinlaster hält vor dem Caritas-Heim. Hans M. lädt eine Couch und einen Sessel aus. Eine Spende für das Heim. Herr M. sagt. „Ich helfe gerne, die können es gebrauchen.“ Dann setzt er sich in den Mietwagen und fährt weg. Währenddessen trotten Afrikaner in Kleingruppen von Spaziergängen in der Umgebung zurück ins Heim. Einige ziehen Rollkoffer hinter sich her.

Die Afrikaner, egal ob auf dem Oranienplatz oder im Wedding, bekommen Unterstützung von Berlinern. Anders könnten sie sich die guten Klamotten und Handys kaum leisten. Wenn sie keinen Asylantrag gestellt haben, bekommen sie auch kein Geld. Aber nicht alle halten sich an die Gesetze oder leben von Wohltaten. 1.300 Meter vom Oranienplatz entfernt liegt der Görlitzer Park, an dem Afrikaner einen florierenden, offenen Drogenhandel aufgebaut haben. Gleich um die Ecke haben einige von ihnen die leerstehende Gerhart-Hauptmann-Schule besetzt.

Dort hausen nun Afrikaner zusammen mit Junkies und Zigeunern. Matratze an Matratze. Berlin hat zwar gerade eine neue Bürokratie zur Erfassung einer Touristensteuer aufgebaut und verbietet die Vermietung von Ferienwohnungen durch redliche Immobilienbesitzer, duldet aber gleichzeitig unhaltbare Zustände, wenn es um Gesetzlose geht. Die Schule hat sich in kürzester Zeit zu einem Kriminalitätsschwerpunkt entwickelt. Mehrfach war nach Vergewaltigungen und Messerstechereien das SEK zu Gast. Zwischenzeitlich wollte der Bezirk die Duldung der Schule aufheben. Aber danach sieht es nicht aus. Am Montag war alles wie gehabt. Afrikaner kommen und gehen. An die Außenwand ist „ACAB“ geschmiert, die englische Abkürzung von „Alle Bullen sind Bastarde“.

Vor einer Woche haben die Afrikaner und ihre linken Freunde ihre Muskeln spielen lassen: Sie stürmten das Rathaus Kreuzberg und vertrieben die CDU-Fraktion aus der Sitzung. Die Polizei schritt nicht ein. Der Auftritt scheint die Politiker beeindruckt zu haben. Monika Herrmann beharrt seitdem wieder darauf, daß das Lager am Oranienplatz bleiben müsse. Und auch Innensenator Frank Henkel (CDU) knickte ein. Zunächst hatte er angekündigt, das Lager am Oranienplatz am 16. Dezember räumen zu lassen, wenn der Bezirk nichts dagegen unternimmt. Inzwischen hat er dieses Ultimatum zurückgenommen. Bis ins neue Jahr bleibt alles so, wie es ist.

 

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