© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Weltschmerz in Töne umgesetzt
Musik: Zur Erinnerung an Karl Amadeus Hartmann
Wiebke Dethlefs

Als Karl Amadeus Hartmann am 5. Dezember 1963 nur 58jährig an Krebs starb, war er ein allgemein geachteter und mit zahlreichen Auszeichnungen bedachter Komponist, der insbesondere Bedeutung erlangt hatte, als er 1946 in seiner Heimatstadt München die Konzertreihe „musica viva“ begründete und sie bis zum Tod leitete. Heute ist dieser Komponist der Moderne weitgehend unbekannt, obwohl er in den fünfziger Jahren noch öfter aufgeführt wurde.

Hartmann komponierte von Anfang an bewußt gegen den Nationalsozialismus. Kein eigenes Werk wollte er „in diesem Deutschland“, wie er sagte, aufführen. Ein frühes symphonisches Poem „Miserae“ von 1933 widmete er „Meinen Freunden, die hundertfach sterben mußten, die für die Ewigkeit schlafen. Wir vergessen euch nicht. Dachau 1933/34“. Es gelang ihm, dieses Werk 1935 in Prag zur Uraufführung zu bringen. Während der nächsten Jahre zog sich der Komponist in die „innere Emigration“ zurück. Eine erste Symphonie, entstanden 1936, wurde erst nach dem Krieg aufgeführt.

Im Zentrum seines Schaffens stehen neben der Oper „Simplicius Simplicissimus“ acht Symphonien. Stilistisch lassen sie sich kaum einordnen, auf der einen Seite stehen (ab der Zweiten) langdimensionierte Adagiosätze, auf der anderen eine vitale prokofjewhafte Motorik, mit denen er seine zahlreichen Fugensätze versieht. Hartmann greift bisweilen zur Zwölftontechnik, verwendet sie aber nicht dogmatisch, sondern läßt auch Stilismen von Bartók oder Debussy einfließen. So entstand eine hochartifizielle Musik, von der sich der Komponist vor allem erwartete, daß sie handwerklich gesehen dennoch „klingt“.

Sein letztes Werk blieb unvollendet. Es ist die „Gesangsszene“ für Bariton und großes Orchester auf Worte aus dem Drama „Sodom und Gomorrha“ von Jean Giraudoux. Dieser knapp zwanzigminütige Monolog ist Opern-arie und Kantate gleichzeitig und die Quintessenz von Hartmanns Schaffen. Der Komponist dringt hier zu äußerster Expressivität vor, um Giraudoux’ Weltkatastrophe in Töne zu fassen. Mitten in der Schilderung eines Endzeit-Entsetzens bricht das Manuskript ab, neun Textzeilen blieben unvertont, die bei Aufführungen gesprochen werden. Das Werk endet mit „Es ist ein Ende der Welt! Das Traurigste von allen!“ Selten ist die Kunst eines Musikers so voll Verzweiflung über die Welt wie bei Hartmann.

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