© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Enttäuschungen beim Kampf gegen das Vergessen
Eine Pharmazeutin nimmt die Angebote zur Demenzprävention unter die Lupe / Nahrungsergänzungsmittel helfen kaum
Christoph Faber

Ein Gläschen Rotwein, Mittelmeerkost, viel Bewegung – das sind die Klassiker unter den Empfehlungen für die Alzheimer-Prävention. Bei der Pharmazeutin Iris Hinneburg bleibt von dem tröstlichen Nimbus solcher Art von Vorbeugung wenig übrig. Denn, wie sie unter dem etwas zynisch klingenden Titel über das umfangreiche Präventionsangebot behauptet: „Vieles kann man vergessen“ (Pharmazeutische Zeitung, 46/13).

Das treffe in erster Linie auf Arzneistoffe zu, für die ein präventiver Effekt postuliert werde. Die Hallenser Medizinjournalistin muß sich dabei gar nicht auf die teuren Fehlschläge mit jenen Präparaten beziehen, die in den letzten zehn Jahren von US-Pharmakonzernen wegen nicht beherrschbarer Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen wurden. Ihr genügt ein Überblick über kontrollierten Studien für das lakonische Fazit, daß geweckte Hoffnungen regelmäßig enttäuscht würden. So zeigten Cholinesterase-Hemmer, die zur Alzheimer-Therapie zugelassen sind, nicht die geringsten protektiven Effekte bei Patienten mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Ähnlich verlief die Überprüfung weniger Studien, die glaubten belegen zu können, daß die Einnahme von Sexualhormonen bei Frauen in den Wechseljahren deren Demenzrisiko verringere. Die Metaanalyse bestätigte diese frohe Kunde nicht: Bei Frauen über 65, die ein Jahr mit Hormonen behandelt wurden, entstand der Verdacht, daß sich dadurch das Demenzrisiko sogar erhöhe.

Körperliche Aktivitäten eröffnen ebenfalls keine therapeutischen „Lichtblicke“, auch wenn einige Beobachtungsstudien nahelegten, Bewegung und Sport könnten dem Abbau kognitiver Fähigkeiten entgegenwirken. Diese Studien, so kritisiert Hinneburg, würden jedoch die Frage offenlassen, „ob tatsächlich mehr Bewegung eine Demenz verhindert oder ob nicht eher Frühstadien einer Demenz dazu führen, daß sich die Patienten körperlich weniger betätigen“. Bestätigt sei zwar, daß Bewegung kognitive Defizite in einzelnen Bereichen behebe, aber nur für kürzere Zeiträume. Für langfristige Effekte fehle hingegen der Nachweis. Und wie steht es um die mediterrane Ernährungsweise mit ihrem hohen Anteil an Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, ungesättigten Fettsäuren? An „überzeugender Evidenz“ dafür, wie sie nur kontrollierte Studien bringe, mangle es leider. Allenfalls mittelbare Effekte scheinen plausibel, da Mittelmeerkost das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten senkt. Soweit wie diese auf arteriosklerotischen Gefäßveränderungen beruhen, erhöht sich die Gefahr einer Hirnschädigung durch Störungen der Mikro- oder Makrozirkulation (vaskuläre Demenz).

Niederschmetternd sei auch die Überprüfung der wie ein Wundermittel angepriesenen, sehr teuren Nahrungsergänzung mit Mikronährstoffen verlaufen. So hatte eine Supplementierung mit Vitamin E bei gesunden Älteren keinen Einfluß auf die Denkfähigkeit (Kognition), und bei Patienten mit leichten Störungen konnte sie das Fortschreiten zur manifesten Demenz nicht aufhalten. Regelmäßiger Verzehr von Seefisch – oder als Kompensation die Einnahme von Omega-3-Fettsäure-Kapseln – sei gleichfalls kein Patentmittel gegen das Versinken ins große Vergessen. Allenfalls „Hinweise“ auf Verbesserungen in einigen, aber nicht allen kognitiven Bereichen lägen vor.

So bleiben auf Hinneburgs Checkliste noch der maßvolle Alkoholgenuß und das „Gehirnjogging“ übrig. Gegen die Rotwein-Lobby macht die promovierte Pharmazeutin geltend, daß bisher nicht feststehe, ob die „Art des Alkohols“ protektive Effekte zeitige, ob es Grenzwerte des Konsums gebe oder ob Alkohol überhaupt neurodegenerative Prozesse beeinflusse. Ähnlich unzureichend sei die Forschungslage bei den in Mode gekommenen kognitiven Trainingsprogrammen, die „Gehirnjogging“ als probates Mittel im Kampf gegen Alzheimer und Demenz empfehlen.

Trotz dieser offensichtlich enttäuschenden Bilanz solle man die Hoffnung nicht aufgeben. Derzeit liefen große Studien, die zeigen sollen, ob eine kombinierte Intervention mit körperlicher wie geistiger Aktivität, gesunder Ernährung und der Kontrolle metabolischer wie vaskulärer Risikofaktoren dem Vergessen nachhaltig Paroli bietet. Man dürfe auf die Resultate der „multifaktoriellen Ansätze“ gespannt sein.

Pharmazeutische Zeitung, 46/13:

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