© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Kleine Parteien rütteln an Dreiprozenthürde
Bundesverfassungsgericht: Karlsruhe verhandelt über die vom Bundestag beschlossene Sperrklausel für die Europawahl
Taras Maygutiak

Wenn es darum geht, in Deutschland die Fünfprozenthürde bei den Bundestagswahlen zu rechtfertigen, werden die schlechten Erfahrungen angeführt, die man ohne eine solche Hürde in der Weimarer Republik gemacht hat. Daß rund 15 Prozent der Wähler ihre Parteien nach der Wahl im September gar nicht im Parlament wiedersehen, dürfte allerdings auch nicht im Sinne der Erfinder der Sperrklausel gewesen sein. Ob diese künftig einmal abgeschafft oder zumindest abgesenkt wird, steht in den Sternen.

Für die Wahl zum Europäischen Parlament wurde die Fünfprozenthürde 2011 allerdings bereits vom Bundesverfassungsgericht kassiert und für nichtig erklärt. „Der schwerwiegende Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der politischen Parteien sei unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen nicht zu rechtfertigen“, hieß es in der Urteilsbegründung. Am kommenden Mittwoch verhandelt der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe erneut über das Thema. Diesmal geht es darum, ob eine Dreiprozenthürde gerechtfertigt ist.

Anfang Juni dieses Jahres hatten die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in trauter Eintracht einen Entwurf zur Änderung des Europawahlgesetzes in den Bundestag eingebracht, der eine Dreiprozent-hürde vorsieht. Zur Begründung führten die Fraktionen eine Entschließung des Europäischen Parlaments an, in der die Mitgliedsstaaten zur Festlegung geeigneter und angemessener Mindestschwellen bei der Verteilung der Parlamentssitze aufgefordert wurden. Es gebe im Parlament eine „gestiegene Bedeutung stabiler Mehrheiten wegen der neuen Modalitäten für die Wahl der Europäischen Kommission im Vertrag von Lissabon.“ Demnach werde sich das Verhältnis zwischen Parlament und Kommission ändern, war diese Entschließung begründet worden. Bei starker Zersplitterung im Parlament drohe zudem eine Blockade der parlamentarischen Willensbildung, was bei der Entscheidung Karlsruhes 2011 noch nicht absehbar gewesen sei. Der Entwurf wurde durchgewinkt, seit 7. Oktober ist die Änderung amtlich: Künftig werden nur diejenigen Parteien und Vereinigungen bei der Verteilung der Abgeordnetensitze zum Europäischen Parlament berücksichtigt, die mindestens drei Prozent der Wählerstimmen erreicht haben.

Dagegen laufen zahlreiche kleine Parteien Sturm. Nach dem Gesetzesbeschluß reichten die NPD, die islamkritische Partei Die Freiheit, ein Bündnis von zehn kleinen Parteien und Initiativen sowie die Piratenpartei Klage ein. Nach Inkrafttreten des Gesetzes gesellten sich die Freien Wähler, die ÖDP, die Republikaner sowie die christiliche AUF-Partei hinzu und legten Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Die Antragsteller und Beschwerdeführer monieren, daß durch die Dreiprozenthürde die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit politischer Parteien verletzt würden. Sie pochen darauf, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom November 2011 weiterhin Geltung habe. Schließlich habe sich die Sach- und Rechtslage seit dem Urteil nicht geändert, argumentieren sie.

Die Entschließung des Europäischen Parlaments sehen die Antragsteller und Beschwerdeführer nicht als bindend an. Das sei lediglich eine Absichtserklärung. Das als Begründung der Dreiprozenthürde angeführte geänderte Verhältnis zwischen Parlament und Kommission lassen sie ebenfalls nicht gelten. Eine künftige Politisierung innerhalb des Europäischen Parlaments durch die Nominierung von Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten durch die Fraktionen sei spekulativ.

Von Arnim mahnt die Richter zur Eile

Die im Vertrag von Lissabon für die Wahl des Kommissionspräsidenten festgelegten Modalitäten seien außerdem in der Entscheidung des Verfassungsgerichts von 2011 bereits berücksichtigt worden. Einige Antragsteller und Beschwerdeführer halten die Einführung der Sperrklausel zudem für eine „unzulässige Normwiederholung“ und sehen das Gebot der Organtreue verletzt. In seiner Klage mahnt der Staatsrechtler Herbert von Arnim, der Prozeßbevollmächtigter für die ÖDP und die Freien Wähler ist, daß möglichst rasch eine Hauptsache-Entscheidung des Gerichts nötig sei. Bei der Europawahl 2009 hätten die Freien Wähler 1,7 Prozent der Stimmen bekommen und wären ohne eine Dreiprozenthürde mit zwei Abgeordneten ins Europaparlament eingezogen. Die ÖDP mit 0,5 Prozent der Stimmen hätte einen Mandatsträger gehabt.

Karlsruhe hatte 2011 den kleinen Parteien die Mandate für die Wahl von 2009 nicht rückwirkend zugesprochen. Angesichts der Zurückstellung der Interessen seiner Mandanten bei der Wahl 2009 erscheine es nun um so mehr geboten, das berechtigte Interesse an einer Klarstellung der Verfassungswidrigkeit der Dreiprozentklausel nun zu berücksichtigen, schreibt von Arnim. Eigentlich sei eine Einstweilige Anordnung angezeigt. Diese komme allerdings im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht.

 

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