© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Roma ante portas
Armutseinwanderung: Ab 1. Januar 2014 gilt die EU-Freizügigkeit auch für Bulgaren und Rumänen. Während Politiker über die Konsequenzen streiten, steigen bei uns bereits die Sozialausgaben
Henning Hoffgaard

Es wird in Deutschland 2014 keine Migrantenschwemme und keinen Schock geben“, sagt EU-Sozialkommissar László Andor. „Wir sind am Beginn einer neuen Migrationswelle“, meint hingegen der Wirtschaftsexperte Hans-Werner Sinn. Zwei Männer, zwei Meinungen, ein Thema. Es geht um die Armutseinwanderung aus Rumänien und Bulgarien. Am 1. Januar fallen die letzten Schranken der Freizügigkeit für Personen aus den beiden Ländern (siehe Infokasten).

Viele Kommunalpolitiker blicken deswegen mit Sorge auf den Jahreswechsel. „Wir sind völlig überfordert“, sagt der stellvertretende Duisburger Bürgermeister Reinhold Spaniel (SPD). „Jedes Jahr geben wir für Integrationsmaßnahmen wie Vorbereitungsklassen, Kita-Gruppen, Sprachförderung, bessere Wohnungen über eine Million Euro aus – dabei ist Duisburg mit mehr als zwei Milliarden Euro verschuldet.“

Schnell wird klar, es geht vor allem um Zigeuner, mehrheitlich Roma. Das Sozialverhalten vieler Roma sei eine Zumutung: „Das fängt beim Lärm an – auf der Straße wird bis um drei Uhr morgens Party gemacht. Die Gärten der Anwohner werden zugemüllt, die Straße wird als Toilette benutzt“, sagt Spaniel. Kurz: Die Stimmung kocht. Duisburg steht mit den Problemen nicht allein. Dortmund, Offenbach, Mannheim und Berlin-Neukölln kämpfen mit ähnlichen Problemen. Die zumeist schlecht qualifizierten Roma nutzten zur Einreise ein Schlupfloch in der Gesetzgebung. Denn schon jetzt können Selbständige aus der EU ohne Beschränkungen nach Deutschland einreisen. Das Ergebnis: Tausende Gewerbeanmeldungen, von denen selbst staatliche Behörden genau wissen, daß dahinter keine wirkliche Tätigkeit steht. „Bei dem Anstieg der Gewerbeanmeldungen seit 2007 handelt es sich in aller Regel um Scheinselbständige“, heißt es aus Mannheim.

Schon jetzt Anspruch auf Sozialleistungen

In Berlin-Neukölln sind von Roma bewohnte Häuser bekannt, in denen mehr als 100 Gewerbe angemeldet wurden. Allein in dem Bezirk gibt es mehr als 5.000 angemeldete rumänische und bulgarische Gewerbetreibende. Das Fazit der Verwaltung im sogenannten „Roma-Statusbericht“ fällt ernüchternd aus: „Sie verfügen weder über die finanziellen Mittel, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, noch über eine Krankenversicherung.“

Die Städte und Gemeinden kommt das teuer zu stehen. Allein in Duisburg stiegen die Sozialausgaben für bulgarische Staatsangehörige um 850 Prozent, wie das Jobcenter auf Anfrage der JUNGE FREIHEIT mitteilt. Bei Rumänen nahm der Wert um 220 Prozent zu. Dabei ist die kostspieligste Frage noch ungeklärt: Haben EU-Ausländer in Deutschland ein Recht auf Hartz-IV-Leistungen? Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bejahte den Anspruch, das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen dagegen lehnte ihn ab. Geklagt hatte jeweils eine rumänische Familie. Nun muß das Bundessozialgericht ein endgültiges Urteil treffen.

Die deutschen Gesetze sind dabei eigentlich eindeutig: EU-Ausländer, die nicht arbeitssuchend sind und nicht selbst für sich sorgen können, haben keinen Anspruch auf Hartz IV. Hilfen in Notlagen (Wohngeld, Krankenkosten, Grundsicherung im Alter) können jedoch alle in Deutschland gemeldeten Personen beziehen. Geld gibt es also sowieso. Auffällig ist jedoch, daß die Arbeitslosenquote von Rumänen und Bulgaren mit 9,6 Prozent deutlich unter dem Durchschnittswert aller Ausländer (16,4 Prozent) in Deutschland liegt.

Gewerbetreibende allerdings, die zusätzliche Hartz-IV-Gelder erhalten, gelten laut Statistik nicht als arbeitslos. Zudem gibt es keine verläßlichen Zahlen, wie viele Einwanderer es aus den beiden Staaten in Deutschland überhaupt gibt. Offiziell sind es etwa 324.000. Das Duisburger Jobcenter konnte allerdings auf Anfrage der JF keine Zahlen über die Arbeitslosenquote von Rumänen und Bulgaren nennen, da „hierzu eine Bezugsgröße fehlt“. Die Statistik verrät so nur die halbe Wahrheit.

Ein Indikator für die kommenden Probleme ist die Entwicklung beim Kindergeld. Zwischen April 2012 und Oktober 2013 stieg die Zahl der rumänischen Empfänger von etwa 20.000 auf mehr als 35.000 an. Diese hatten insgesamt knapp 46.700 Kinder. Bis Oktober wurden in diesem Jahr so 122 Millionen Euro ausgezahlt. Tendenz steigend. Eine Übersicht über die Gesamtleistungen nach Staatsangehörigkeit gibt es nach Angaben der Behörde nicht. „Derzeit erfolgt jedoch eine Überprüfung der Auswertemöglichkeit.“ Bis dahin kann es allerdings noch eine Weile dauern.

 

Streit über EU-Freizügigkeit

Derzeit ist die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union (EU) für Rumänen und Bulgaren noch beschränkt. Personen aus diesen Staaten können nur als Touristen oder mit einer Arbeitserlaubnis nach Deutschland einreisen. Ausnahmen gibt es für Geschäftsführer, Studenten, Saisonarbeiter, Hochqualifizierte, Auszubildende und Selbständige. Ab 1. Januar 2014 können alle Personen aus diesen Ländern zur Arbeitssuche nach Deutschland einreisen. Während die EU keine Anzeichen für eine Armutseinwanderung sieht und sich für nicht zuständig erklärt hat, werden die Forderungen nach einer Beschränkung der EU-Freizügigkeit lauter. Bereits Anfang Dezember hatte der britische Premier David Cameron angekündigt, arbeitslosen EU-Ausländern die Sozialleistungen zu streichen und auch auszuweisen. Die EU-Kommission kritisierte die Pläne scharf und legte den Briten einen Austritt aus der EU nahe. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kündigte unterdessen an, notfalls im Alleingang ohne Zustimmung der EU gegen Armutseinwanderung vorzugehen. Das Sozialrecht solle deswegen so geändert werden, daß eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ verhindert wird. Unklar ist allerdings, ob EU-Ausländer in Deutschland Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen haben. Unabhängig davon stehen ihnen unter anderem Kindergeld, Wohngeld und die Übernahme von medizinischen Behandlungskosten zu. EU-Ausländer, die nicht arbeitssuchend sind und nicht selbst für sich sorgen können, verlieren das Aufenthaltsrecht. Viele Roma leben allerdings als Touristen in Deutschland oder sind (schein-)selbständig. (ho)

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