© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Ein Unruhestifter eroberte die Welt
Nelson Mandela: Ein Leben zwischen jugendlicher Auflehnung, Terror und Versöhnung
Yorck Tomkyle

Südafrika liegt im Fieber. Vieles erinnerte an das legendäre „Nelson Mandela 70th Birthday Tribute Concert“ im Londoner Wembley-Stadion im Juni 1988. Doch waren es nicht Stars und Sternchen, die sich an diesem Dienstag im Johannesburger Fußballstadion versammelten, um Mandela zu huldigen, sondern über einhundert Staatsgäste aus aller Welt.

Am Sonntag findet der „Gigant der Geschichte“ (Barack Obama) nun, seinem eigenen Wunsch entsprechend, im Dorf Qunu am Ostkap seine letzte Ruhe. Hier wurde, während im fernen Europa der Erste Weltkrieg seinem Ende zuging, Nelson Rolihlahla Mandela als Sproß einer Nebenlinie des Königshauses der Themba im damals zum britischen Empire gehörenden Südafrika geboren.

Nach einer relativ behüteten Jugend im Schoße von Riten, Traditionen und Tabus der Xhosa begann der aufgeweckte Junge bereits recht früh, seinem Namen – Rolihlahla bedeutet übersetzt Unruhestifter – alle Ehre zu machen. Schnell war er an seiner Schule und später auch der Universität dafür bekannt, seine Ansichten und Überzeugungen furchtlos gegenüber den Autoritäten zu vertreten. Am Missions-College in Alice traf er als 21jähriger auf einige seiner späteren Weggefährten und begann, sich politisch zu engagieren.

Teilnahme an Terrorakten, aber keinerlei Opfer

Einer Zwangsheirat entzog er sich durch Flucht nach Johannesburg, wo er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlug und per Fernstudium Jura studierte. In diese Zeit fällt auch seine Karriere als Schwergewichtsboxer, durch die er es bereits damals bei den sportbegeisterten Südafrikanern zu einem gewissen Bekanntheitsgrad brachte.

1944 trat er dem ANC bei und gründete die ANC-Jugendliga zusammen mit Walter Sisulu und Oliver Tambo. In seine Zeit als Präsident der Jugendliga fallen die Öffnung des ANC gegenüber den Kommunisten sowie verschiedene vorerst gewaltfreie Kampagnen, mit denen der ANC die weiße Minderheitsregierung unter Druck setzen wollte. Diese reagierte darauf mit Verhaftungswellen und dem Verbot politischer Betätigung, an das er sich jedoch nicht hielt.

Nachdem die Gewaltspirale begonnen hatte, sich zu drehen und es im März 1960 in Sharpeville zu tödlichen Schüssen von örtlichen Polizeikräften auf Demonstranten gekommen war, gründete Mandela den bewaffneten Arm des ANC und beteiligte sich aktiv an Terroranschlägen. Er betonte später stets, daß dabei niemand zu Schaden gekommen sei. Wirklich nachprüfbar ist dies jedoch nicht. Es gibt weder dafür noch für die nie ganz verstummten Gerüchte, es habe sehr wohl menschliche „Kollateralschäden“ gegeben, stichhaltige Beweise.

Nach einiger Zeit im Untergrund wurde er verhaftet und 1964 im sogenannten Rivonia-Prozeß zusammen mit prominenten Mitstreitern zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Abschlußplädoyer, in welchem er den gewaltsamen Widerstand rechtfertigte, machte ihn mit einem Schlag weltberühmt.

Während er die folgenden 27 Jahre in Haft verbrachte, wuchs die weltweite Unterstützung für den ANC, der es geschickt verstand, Mandelas Schicksal auf der internationalen politischen Agenda zu halten. Während Südafrika zum Beispiel in der Nuklearwaffentechnologie immer enger mit Israel kooperierte, verhängten viele andere Staaten immer schärfere Sanktionen, die das Land schließlich dazu zwangen, den Kurs zu ändern und Gespräche mit dem ANC aufzunehmen.

Hoffnungsträger aller Kräfte war Mandela, der bislang alle Angebote, ihn freizulassen, wenn er der Gewalt abschwöre, abgelehnt hatte.

Am 11. Februar 1990 skizzierte der soeben aus der Haft Entlassene vor 120.000 enthusiastischen Zuhörern seine künftige Politik, die er als künftiger Präsident des Landes in die Tat umsetzen wollte: Versöhnung, nicht Rache, war das Schlagwort, und Mandela setzte sich in der Folge mit großem persönlichen Mut dafür ein, daß diese Agenda zunächst nicht nur eine hohle Phrase blieb.

Es gibt in Südafrika viele Menschen aller Hautfarben, die überzeugt davon sind, daß nur Mandela dem Land einen Bürgerkrieg erspart hat.

Dennoch begann sein Stern bereits zu seinen Lebzeiten zu verblassen. Neben persönlichen Tragödien im Familienleben, die dem Familienmenschen Mandela offenkundig zu schaffen machten, gab es immer lautere ANC-interne Kritik an der behutsamen Art, mit der er während seiner Präsidentschaft zwischen 1994 und 1999 gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen wollte. Gerade den schwarzen Wählern des ANC gingen die Reformen nicht schnell genug.

Der große alte Mann fand immer weniger Gehör

1999 übergab er das Präsidentenamt an Thabo Mbeki und mußte im weiteren Verlauf miterleben, wie sein Nachfolger und mehr noch der aktuell amtierende Präsident Zuma zunehmend das Vertrauen immer größerer Teile der Bevölkerung auf einen friedlichen Wandel verspielten.

Der erste schwarze Präsident des Landes versuchte anfänglich noch, durch öffentliche und nicht-öffentliche Interventionen das Abdriften der neuen politischen Elite Südafrikas zu verhindern. Es wurde aber zunehmend stiller um ihn, was nicht nur mit altersbedingter Gebrechlichkeit zusammenhing, sondern auch damit, daß er immer weniger Gehör fand.

Zwar ist es Nelson Mandela erspart geblieben, dafür verantwortlich gemacht werden zu können. Dennoch mußte er in den letzten Jahren miterleben, wie die Probleme des Landes in atemberaubender Geschwindigkeit zunahmen:

Überbordene Korruption und Mißwirtschaft schrecken dringend benötigte ausländische Investoren ab, und der stille Bürgerkrieg gegen die weißen Farmer erschüttert im Verein mit der massiven Gewaltwelle in den Städten und den Drohungen gegen die weiße Minderheit, die immer mehr an Robert Mugabe erinnern, den Glauben vieler an eine Zukunft des Landes.

Die bereits versiegenden Auswandererströme sind in letzter Zeit wieder bedenklich angeschwollen. Ein Aderlaß, den sich das geschwächte Land wirtschaftlich nicht leisten kann.

Der Mythos Mandela lebt auch davon, daß ihn das Schicksal in gewisser Weise vor den dunklen Seiten der Entwicklung bewahrt hat: Durch die lange Gefangenschaft wird er nicht befleckt durch die grausamen Morde der Kampfzeit, der freiwillige Rückzug vom Präsidentenamt zum richtigen Zeitpunkt läßt die Probleme des Landes als ungelöste Aufgaben seiner Nachfolger erscheinen. Vielleicht ist dies die Gnade, die einem Mann zuteil geworden ist, der so lange als Gefangener für seine Ideale gekämpft hat.

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