© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Thalers Streifzüge

Anna Netrebko signiert. Ich bin spät dran. Die Schlange der anstehenden Menschen im Kulturkaufhaus Dussmann ist bereits beträchlich. Soll ich mich brav einreihen? Oder gibt es eine Möglichkeit, sich vorzudrängeln? Ich sondiere zunächst die Lage, schlendere umher, schaue mich in der Klassik-Abteilung um. Als ich mitbekomme, daß sich die Menschentraube in Bewegung setzt, schließe ich mich an und rücke mit auf. Doch plötzlich kommen wir zum Stehen, nur ungefähr einen Meter vor einem abgesperrten Bereich, an dem ein bulliger Ordner und zwei adrette Kaufhausmitarbeiterinnen wachen. Von nun an geht es keinen Zentimeter voran. Daß Anna Netrebko irgendwann im Untergeschoß eintrifft, bekomme ich nur per Videoübertragung mit. Nach einer gefühlten Ewigkeit gebe ich meine Wartestellung auf und tröste mich damit, daß ich die Opernsängerin erst im vorigen Jahr live in der Philharmonie gehört habe.

Die Informationsbasis ist dünn. Nur so viel: Das Stück heißt „Pastewkas Weihnachtsgeschichte“, gegeben wird es im Theater am Kurfürstendamm. Ich mag Bastian Pastewka, kann mich schlapplachen über ihn. Zweimal habe ich ihn an gleicher Spielstätte in dem saukomischen Lustspiel „Männerhort“ (neben Christoph Maria Herbst, Michael Kessler und Jürgen Tonkel) gesehen. Das muß als Referenz reichen. Also wieder fix Karten besorgt. Drei Wochen lang herrscht pure Vorfreude. Am Abend der Vorstellung dann melden sich jedoch schon vor dem Theater jählings erste Zweifel. Der Aufsteller verheißt eine „exklusive Preview“ vor der TV-Ausstrahlung. Wie jetzt, denke ich, Fernsehen im Theater? Leider kommt es genau so. Bastian Pastewka moderierte lediglich launig das Programm. Ansonsten erinnerte der Theaterabend stellenweise an eine Heizdeckenveranstaltung. Im Fernsehen gibt es „Pastewkas Weihnachtsgeschichte“ am 20. Dezember um 23.15 Uhr auf Sat.1 zu sehen.

Auf einem Adventsmarkt fernab sozialer Brennpunkte bestimmen Stände mit Kunsthandwerk das Bild. An einem werden handbemalte Lesemagnete angeboten, jeder ein Unikat, wie ein Schild verkündet. Es herrscht dichtes Gedränge. „Schau mal hier, die orginellen Lesezeichen“, sagt eine Frau zu ihrem desinteressiert hinter ihr stehenden Mann. Der aber grummelt nur vor sich hin: „Ick lese nich.“ Oha! Das ist, wie der enttäuschte Gesichtsausdruck der Frau verrät, definitiv die falsche Antwort. Vielleicht sollte er es demnächst wenigstens mal mit einem „Frauenversteher“-Ratgeberbuch versuchen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen