© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

„Es ist alles wertlos geworden, Papier, Papier und Dreck“
Trüber Advent nach der Währungsreform von 1923: Die Hyperinflation hinterläßt im Deutschen Reich ein verarmtes Volk
Klaus Bruske

Advents- und Weihnachtszeit, Dezember 1923: Jetzt ist der böse Spuk endlich vorbei. Am 15. November des Jahres zuvor hat die Reichsregierung die Hyperinflation gestoppt und das „Wunder der Rentenmark“ aus dem Zylinder gezaubert. Zwischen Aachen und Königsberg atmen die Deutschen auf. Die 62 Millionen können sich mit weniger Sorge und Not als in dem knappen Kriegs- und Nachkriegsjahrzehnt 1914 bis 1923 den Festtagsvorbereitungen widmen.

Die großen und kleinen Weihnachtsmärkte erstrahlen gleichsam in wärmerem Lichterglanz als in den dunklen Jahren zuvor. Doch die durch die Inflation verarmten Besucher können für weihnachtlichen Luxus kaum etwas investieren. Immerhin müssen sich Mütter, die für ihre Kinder an den Buden süße Kringel kaufen wollen, nicht mehr die Manteltaschen mit dicken Bündeln von Banknoten vollstopfen. Auch ist die weihnachtliche Suche nach Geschenken kein Rennen gegen Zeit und galoppierende Inflation mehr. So wie noch vor Monatsfrist, als das Papiergeld bereits in der Warteschlange vor den Geschäften die Hälfte seines Wertes wieder verlor.

Selbst das Ausland zeigt sich erleichtert und hofft, daß nach dem radikalen Währungsschnitt die einst führende Industrienation Europas bald wieder auf die Beine kommt. Nicht zuletzt, damit die Weimarer Republik ihre viele Milliarden umfassenden Reparationsschulden Kriegsgegnern gegenüber leisten kann. Damals notiert Britanniens Botschafter in Berlin Lord Edgar Vincent d‘Abernon in sein Tagebuch: „Die Lebensmittel in den großen Städten sind plötzlich in Hülle und Fülle vorhanden, Kartoffeln und Getreide werden in großen Mengen auf den Markt gebracht. Die Schlachthäuser haben reichlich zu tun. Viehladungen treffen von überall ein, und die Polonäsen vor den Läden sind verschwunden. Die wirtschaftliche Entspannung hat eine politische Beruhigung mit sich gebracht. Von Diktatur und Putschen wird nicht mehr geredet, und selbst die äußersten Flügelparteien haben für den Augenblick aufgehört, Unruhe zu stiften.“

Interne Kriegsschulden durch Inflation beglichen

Der völlige Währungskollaps war zuvor nur noch eine Frage von Stunden, an jenem schicksalhaften 15. November 1923. Als der Dollar bei 4,2 Billionen Papiermark steht, wird dem kollektiven Alptraum das amtliche Ende verordnet. Reichskanzler Gustav Stresemann und sein Reichswährungskommissar Hjalmar Schacht bescheren dem geplagten Volk die lang ersehnte Währungsreform. Ab jenem Stichtag kann das alte wertlose Papiergeld im Verhältnis einer neuen Rentenmark zu einer Billion alte Papier- bzw. „Inflationsmark“ umgetauscht werden. Die Staatskasse hat sich damit der astronomischen Kriegsschulden aus den Kriegsanleihen des Ersten Weltkriegs über die immer schneller rotierende Banknotenpresse entledigt. Die Reichsbank hat die Währung ins Bodenlose fallen lassen und so des Kaisers Kriegsanleihen von 156 Milliarden Goldmark pro forma auf Heller und Pfennig beglichen. Mit immer mehr Nullen auf den Scheinen, mit immer wertloseren Banknoten, mit der schlimmsten Geldentwertung der Menschheitsgeschichte.

Das bis dato Unfaßbare veranschaulicht uns Hans Fallada in seinem Gesellschaftroman „Wolf unter Wölfen“: „Irgendwo in dieser Stadt stand eine Maschine (...) und erbrach Tag und Nacht Papier über der Stadt, das Volk. ‘Geld’ nannten sie es. Sie druckten Zahlen darauf, wunderbare, glatte Zahlen mit vielen Nullen, die immer runder wurden. Und wenn du gearbeitet hast, wenn du dir etwas erspart hast auf deine alten Tage – es ist alles wertlos geworden, Papier, Papier und Dreck.“

Auf dem Höhepunkt der Inflation arbeiten im ganzen Reich 300 Papierfabriken und 150 große Druckereien mit 2.000 Pressen Tag und Nacht, und täglich werden zwei Millionen neue Banknoten gedruckt, ohne daß der Bedarf an Geldwertzeichen noch gedeckt werden kann. Man schätzt damals den Bargeldumlauf in der Weimarer Republik mit einer Zahl, für die deutsche Umgangssprache keinen Namen mehr kennt: auf 400.338.326.350.700.000.000 (Papier-)Mark.

Verheerend sind die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Geldentwertung, die ganze Bevölkerungsschichten ruiniert. Elend und Sorge breiten sich wellenförmig aus. Die Not erfaßt beinahe jeden. Demoralisierte Bourgeois, verarmte Aristokraten ebenso wie kinderreiche Beamte, Angestellte und Arbeiter, Freiberufler wie Rechtsanwälte und Künstler, kleine Gewerbetreibende und Handwerker, vor allem aber Kriegsinvaliden, Sozial- und kleine Kapitalrentner, Kriegerwitwen und -hinterbliebene, alleinstehende ältere Frauen – sie alle kämpfen um ihre nackte Existenz.

Vertrauen in die Weimarer Republik bleibt erschüttert

Die Preise explodieren. Ein Pfund Brot hat im Oktober 1922 noch 23 (Papier-)Mark gekostet, im Juli 1923 hingegen knapp 4.000 und Anfang November 200 Milliarden. Ähnlich ist es bei Kartoffeln, Schweinefleisch, Butter und anderen Lebensmitteln. Eine Berliner Straßenbahnfahrt, für die im Januar 1918 noch 10 Pfennige und im April 1920 noch 50 Pfennige zu bezahlen sind, macht Anfang 1923 schon 50 Mark, im Juli 1.000 und im November die unvorstellbare Summe von 50 Milliarden Mark. Ein deutscher Facharbeiter aber verdient kurz vor dem 15. November 1923 drei Billionen am Tag. Etwa in München kann er sich dafür nach Feierabend gerade mal drei Maß Bier hinter die Binde kippen.

Aus dem Zylinder gezaubert hat das Kabinett Stresemann am 15. November das „Wunder der Rentenmark“ wiederum mit einem Trick, der jedoch diesmal aufgeht. Da eine reale Golddeckung unmöglich ist, stützt sich die neue Wunderwährung auf eine fiktive Hypothek von 3,2 Milliarden Goldmark. Sie wird je zur Hälfte über Schuldverschreibungen von Industrie und Landwirtschaft „gesichert“. Diese Vermögenswerte sind zwar lächerlich gering, doch „Hexenmeister“ Hjalmar Schacht macht die neue Rentenmark nicht konvertibel gegen ausländische Währungen und gräbt damit den Spekulanten das Wasser ab, die, zuvor mit großzügigen Krediten der Reichsbank ausgestattet, diese in ausländische Währungen tauschten, um Währungstermingeschäfte gegen die Mark zu finanzieren, was der Inflation einen zusätzlichen Schub gab. Zudem versichert er, die neue Währung sei solide und vollständig durch Sachwerte gedeckt. Und die Deutschen klammern sich an diesen Strohhalm. Sie eilen in hellen Scharen in die Aufwertungsstellen und sichern dank dieses Vertrauensbeweises der Währungsreform den Erfolg.

Vergleichsweise milde klingt das Katastrophenjahr 1923 deshalb aus. Es folgt bis in den Herbst 1929 mit dem New Yorker „Schwarzen Freitag“ eine Phase der Beruhigung und wirtschaftlichen Erholung. Die Reallöhne erreichen bis 1928 sogar wieder Vorkriegsniveau. Einer winzig kleinen Minderheit in den Großstädten dürften die Lebensumstände dieser Zeit dem gängigen Schlagwort von den Goldenen Zwanzigern entsprechen. Allerdings hat die „Mitte der Gesellschaft“, das verarmte kleine und mittlere Bürgertum, das 1923 oftmals um seine Rücklagen und sein bescheidenes Vermögen gebracht wurde, das Vertrauen in die wirtschaftlich diskreditierte Weimarer Republik nicht wiedergewinnen können.

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