© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Sag mir, wo die Stimmen sind
Marcus Schmidt

Von wegen Routine. Als Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am Dienstag das Ergebnis der Wahl der Bundeskanzlerin verkündete, gab es in den Reihen der Großen Koalition lange Gesichter. Von den insgesamt 631 Bundestagsabgeordneten hatten 462 Angela Merkel gewählt. Da die Koalition zusammen 504 und die Opposition aus Linkspartei und Grünen 127 Abgeordnete stellt, stimmten mindestens 42 Parlamentarier von SPD, CDU oder CSU nicht für Merkel. Mit Gegenstimmen hatten die Strategen von Union und SPD zwar gerechnet, aber nicht mit einer so großen Menge an Abweichlern.

Während die „Spin-Doctors“ der Koalition noch versuchten, die Gegenstimmen kleinzureden und darauf verwiesen, daß noch kein Kanzler seit Adenauer so viele Stimmen wie Merkel auf sich vereinigen konnte und ihr 2009 sogar noch mehr Stimmen gefehlt hatten, begann schon die Suche nach den Abweichlern. Stammten sie mehrheitlich aus den Reihen der SPD, in der das Murren über das ungeliebte Bündnis mit der Union trotz aller Erfolge bei den Koalitionsverhandlungen nie ganz verstummt war?

Noch am Montag hatte der frisch gewählte SPD-Fraktionsschef Thomas Oppermann Merkel für ihre „coole Rede“ vor den Abgeordneten seiner Partei gelobt. Die Beobachter auf der Fraktionsebene des Reichstages schlossen daraus: Alles in Ordnung, Merkel bekommt bis auf wenige Ausnahmen alle Stimmen der SPD. Nach der Kanzlerwahl klang der Optimismus Oppermanns dagegen wie das Pfeifen im Walde.

Oder sind die Abweichler doch eher in der Union zu finden? Hier hatten sich erst in der vergangenen Woche zumeist jüngere Abgeordnete mit einem Manifest „CDU 2017“ zu Wort gemeldet und vorsichtig eine Neuausrichtung der Union angemahnt, um den bei der Bundestagswahl errungenen Erfolg zu sichern. Hatten sich von diesen Nachwuchspolitikern am Dienstag einige ein Herz gefaßt und gegen Merkel gestimmt?

Genau dies hatte die CDU-Chefin vermutlich befürchtet. Als klugen Schachzug werteten es daher Beobachter, daß Merkel einen der Wortführer der „jungen Wilden“, Peter Tauber, zum Nachfolger des zum Gesundheitsminister ernannten Hermann Gröhe als CDU-Generalsekretär berufen hat.

Und auch in der CSU sind längst nicht alle Abgeordneten zufrieden. Einige von ihnen hatten sich einen Posten in der Regierung als Staatssekretär oder gar als Minister ausgerechnet. Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer etwa, der am Dienstag als „einfacher“ Abgeodneter im Plenum saß, war noch bis zum Wochenende davon ausgegangen, er könne auch künftig am Kabinettstisch im Kanzleramt Platz nehmen.

Am Ende dürften Merkel die Gegenstimmen herzlich egal sein. Durch ihre dritte Wahl zur Bundeskanzlerin hat sie sich bereits in die Geschichtsbücher eingetragen. Schon jetzt regiert sie länger als alle anderen Kanzler außer Adenauer, Helmut Kohl und Helmut Schmidt – und den SPD-Kanzler wird sie bereits im kommenden Jahr überholen.

 

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