© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Vampire in einer vergifteten Welt
Ein Liebesfilm der anderen Art: „Only Lovers Left Alive“ von Jim Jarmusch
Claus-M. Wolfschlag

Der Musiker Adam (Tom Hiddleston) lebt zurückgezogen im weitgehend verwaisten Industrieareal Detroits. In seiner alten Villa hortet er historische Gitarren und Streichinstrumente sowie längst von modernen Innovationen überholte technische Gerätschaften. Kontakt zur Außenwelt hält er fast nur über den ihm ergebenen Ian (Anton Yelchin), der ihn mit notwendigen Gebrauchsgütern und neuen Musikinstrumenten für seine Sammlung versorgt.

Adam steht dem Innovationswahn der modernen Konsumgesellschaft abweisend gegenüber. In ihm vereinen sich Weltekel, Nostalgie und Melancholie. Er ist ein Misanthrop, und zwar nicht aufgrund eigener Destruktivität, sondern wegen der zerstörerischen Kräfte des Menschen. Die großen Wissenschaftler sieht er verraten und verfemt, die Leistungen der Künstler plagiiert, die Umwelt verseucht und nunmehr selbst die menschlichen Körper kontaminiert. Adam ist dem Selbstmord nahe.

Im fernen marokkanischen Tanger lebt derweil Adams Geliebte Eve (Tilda Swinton). Nachts streift sie durch die labyrinthische Kasbah, um sich Nahrung von ihrem alten Freund Christopher Marlowe (John Hurt) zu besorgen. Diese besteht aus in Flaschen abgefülltem Blut bester Qualität, während sich Adam in Detroit beim korrupten Klinik-arzt Dr. Watson (Jeffrey Wright) regelmäßig mit gestohlenen Blutkonserven eindeckt. Schließlich beschließt Eve, besorgt und der Fernbeziehung leid, Adam in Detroit zu besuchen. Dort streifen sie nachts durch die verfallenden Industrieanlagen „Motowns“, Sinnbild für den Niedergang der menschlichen Art.

Regisseur Jim Jarmusch steht bereits seit seinen frühen Erfolgen – beispielsweise „Down by Law“ von 1986 oder „Night on Earth“ (1991) – für ein konträr zum Hollywood-Mainstream gelagertes Kino. Als reflektierter Außenseiterblick auf Amerika wird Jarmuschs Weltsicht verstanden, und diese rekapituliert er in jedem seiner Filme aufs neue. So wundert es nicht, daß sich auch in seinem neuen Streifen viele Elemente aus früheren Filmen wiederfinden, etwa die melancholischen Autofahrten durch leere nächtliche Straßen, die man von „Ghost Dog – Der Weg des Samurai“ (1999) kennt, oder der Verweis auf den Erfinder Nikola Tesla, der auch in „Coffee and Cigarettes“ (2003) zu hören war.

Daß „Only Lovers Left Alive“ dennoch eine herausragende Rolle in Jarmuschs Œuvre einnimmt, liegt an dem Genre, das er sich diesmal als Plattform für die Ausbreitung seiner Gefühlswelt gesucht hat. Gerade in einem Vampirfilm entwickelt Jarmuschs Hang zur Stille, zur Morbidität und zur atmosphärischen Länge ihre volle Kraft. Die Verbindung dürfte auch für diejenigen gelungen wirken, die ansonsten Schwierigkeiten mit Jarmuschs handlungsarmen, dabei modernen Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen zuwiderlaufenden Filmen haben. Der Vampirfilm basiert nicht so sehr auf den Schreckmomenten, die das moderne Horrorkino längst besser zu bedienen versteht. Vielmehr lebt er von Atmosphäre und der Persönlichkeitsdarstellung des Vampirs, in dem wir unsere eigenen unterdrückten Triebe und Machtfantasien verdichtet wiederentdecken können.

Dabei sind Jarmuschs Vampire ausgesprochen sanfte, gebildete und kunstsinnige Wesen. Eves ungestüme Schwester Ava (Mia Wasikowska), die plötzlich in Detroit auftaucht und dort Unheil stiftet, mag noch am ehesten dem Bild des impulsiven und von sexuellen Gelüsten getriebenen Vampirs entsprechen, wenngleich bei ihr in adoleszenter, verspielter Form. Adam und Eve, jene Verstoßenen aus dem Paradies, sind für solche Eskapaden mittlerweile zu zivilisiert und feinfühlig. Kopfschüttelnd stehen sie der Zerstörung des Planeten durch die Menschen gegenüber, die Adam „Zombies“ nennt. Das Überfallen menschlicher Opfer gilt ihnen längst nicht mehr als zeitgemäß. Zudem hat sich durch Umweltgifte die Blutqualität stark verschlechtert, was die Gefahr von Vergiftungen erhöht. Deshalb also sind die Vampire Pazifisten geworden, versorgen sie sich seit langem nur noch mit reinem Klinikblut. Doch als sie überstürzt aus Detroit flüchten müssen, geraten sie in eine Versorgungsnotlage und müssen auf ihren traditionellen Überlebenstrieb zurückgreifen.

Man kann diese Rückkehr der Archaik als Sinnbild für den Verfall der menschlichen Zivilisation deuten. Und der Verfall ist ja zuvor schon an vielen Ecken spürbar, den Industrieruinen und verlassenen Wohnquartieren Detroits wie den zischenden Drogendealern in Tangers dunklen Gassen. Der menschliche Geist hat sich kaum fortentwickelt. Und nicht einmal das Blut ist mehr sauber. So bleibt Adam und Eve nur die Erinnerung an frühere Tage, an die ewige Kraft der Schönheit und Kunst.

Der Film startet am 25. Dezember in den Kinos

http://only-lovers.pandorafilm.de

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