© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Imaginäre Milliarden
Börsenregulierung: Die von der Bundesregierung unterstützte EU-Finanztransaktionssteuer wird weder Spekulationen eindämmen noch Marktstabilität schaffen
Christoph Braunschweig

Wir wollen eine Finanztransaktionssteuer mit breiter Bemessungsgrundlage und niedrigem Steuersatz zügig umsetzen und zwar im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit in der EU“, verspricht die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag. Die Besteuerung solle „insbesondere Aktien, Anleihen, Investmentanteile, Devisentransaktionen sowie Derivatekontrakte“ umfassen und durch ihre Ausgestaltung „Ausweichreaktionen vermeiden“.

Auch die EU und zahlreiche Ökonomen plädieren für die 1972 von dem Yale-Wirtschaftsprofessor James Tobin vorgeschlagene Lenkungsabgabe, um vor allem drei Ziele zu erreichen: Spekulationen eindämmen, die Finanzmarktstabilität verbessern und den Finanzsektor abkassieren. Doch die Bundesregierung hat allen Grund, die „Auswirkungen der Steuer auf Instrumente der Altersversorgung, auf die Kleinanleger sowie die Realwirtschaft“ und „auf Praktikabilität und Zielgenauigkeit“ zu prüfen.

Die EU-Kommission rechnet mit jährlichen Einnahmen von 57 Milliarden Euro. Das britische Beratungsunternehmen Oxera widerspricht dieser Prognose. Bei der Ermittlung der makroökonomischen Auswirkungen liege ein zu geringer Steuersatz zugrunde. Der durch die Steuer zu erwartende Rückgang des EU-Bruttoinlandsprodukts betrage das Fünffache dessen, was die EU schätzt: minus 2,4 statt minus 0,53 Prozent pro Jahr. Das niederländische Institut CPB warnt, daß jedes Geschäft zwischen zwei Firmen zu einer Vielzahl von Transaktionen innerhalb des Finanzsektors führe. Dieser Kaskadeneffekt verschärfe den BIP-Rückgang und senke so das Gesamtsteueraufkommen.

Die kurzfristigen Interbankgeschäfte auf der Grundlage der Wertpapierleihe haben eine Laufzeit von einem Tag bis zu einer Woche. Würde jede dieser Transaktionen mit 0,1 Prozent Steuer belastet, adierte sich dies bei jährlich 250 Handelstagen auf bis zu 25 Prozent. Die Transaktionssteuer könnte dennoch gerechtfertigt sein, wenn sie Vorteile brächte. Doch wie könnten spekulative Positionen wirklich reduziert werden? Und lassen sich Bewegungen von Aktienpreisen über den Konjunkturzyklus überhaupt beeinflussen oder gar stützen?

Die von der Bundesregierung unterstützte EU-Steuer verfehlt ihre Ziele, weil sie nicht auf die Anreizmechanismen im Finanzmarkt Einfluß nimmt. Dies ist aber für effiziente Regulierung unumgänglich. Einen besonderen Stellenwert hat dabei die Tatsache, daß Vermögen auf Aktienmärkten überwiegend fremdverwaltet sind. Anleger wissen oft nicht, ob die überdurchschnittliche Rendite den Fähigkeiten des Fondsmanagements oder purem Glück zu verdanken ist. Die meisten Anleger entscheiden sich dennoch für die Fremdverwaltung.

Aber die weitgehend gleichgerichteten Handlungsstrategien der professionellen Vermögensverwaltungen befördern negative Preisspiralen. Dies geschieht beispielsweise, wenn die Erwartungen fallender Preise und zunehmender Leerverkäufe einen selbständigen Zyklus, einen sogenannten Bear Run bilden. Diese Überlegungen zeigen, daß etwa eine Beschränkung von kreditfinanzierten Wertpapierkäufen und von Leerverkäufen (Spekulation auf fallende Kurse/short sale) wirkungsvoll in die Mechanismen der Fondsverwaltung eingreifen würde – ganz im Gegensatz zur Transaktionssteuer.

Leerverkaufsverbote würden Preisschwankungen tendenziell reduzieren.Die Kapitalkosten von Unternehmen sinken, denn Aktienpreise wären in der Rezession höher, weil durch das Verbot spekulative Attacken weitgehend unterbunden würden. Ein Leerverkaufsverbot als Alternative zur Transaktionssteuer wäre insofern viel sinnvoller. Allerdings lassen sich damit keine zusätzlichen Steuereinnahmen erzielen, was offensichtlich das eigentliche Ziel der Brüsseler Regulierungspolitik ist.

Doch selbst die Hoffnung auf zusätzliche Milliardeneinnahmen ist trügerisch. Der Informationsdienst EU-Observer verweist hierzu auf ein von EU-Beamten verfaßtes Memorandum, das einen heiklen Punkt betrifft: Da auch Staatsanleihen besteuert würden, könnte sich die Staatsfinanzierung über den Bondmarkt verteuern, was den Einnahmeeffekt konterkarieren würde. Schweden hat seine 1985 eingeführte Börsenumsatzsteuer wegen unbeherrschbarer Nebenwirkungen und mageren Ertrags bereits 1992 wieder abgeschafft.

 

Christoph Braunschweig ist Professor der Staatlichen Wirtschaftsuniversität Jekaterinburg und Autor zahlreicher Fachbücher.

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