© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Oligarchen und Viehzüchter
Der Bevölkerungswissenschaftler Volkmar Weiss über die wechselhafte Geschichte der Genealogie im 20. Jahrhundert
Thorsten Hinz

Am 7. April 1933 wurde in Deutschland das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verabschiedet, das von Beamten einen „arischen Abstammungsnachweis“ verlangte. In rascher Folge erließ die Regierung unter Adolf Hitler weitere Gesetze, denen die genealogische Argumentation zugrunde lag, etwa das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Die Schnelligkeit läßt darauf schließen, daß die geistige Vorbereitung schon lange vor der nationalsozialistischen Machtergreifung begonnen hatte.

Bis ins 19. Jahrhundert war die Genealogie, die Ahnenforschung, ein Exklusivmerkmal des Adels gewesen. Die Abstammung legitimierte seine bevorzugte Stellung in Staat und Gesellschaft. Die Ablösung der Feudal- durch die bürgerliche Leistungsgesellschaft bildete die Grundlage für eine bürgerliche Genealogie. Sie war ein Zeichen neuen Selbstbewußtseins, aber auch Teil der Gegenbewegung zu Modernisierungs-tendenzen wie der Verstädterung, der Auflösung der bäuerlichen Lebenswelt und familiärer Lebenszusammenhänge.

Mit der Einführung des „Ahnenpasses“ unter den Nationalsozialisten wurde daraus praktische Politik. Der Leipziger Bevölkerungswissenschaftler Volkmar Weiss hat seine über Jahre verstreut publizierten Aufsätze zum Thema nun in einem Buch zusammengefaßt. Seit jeher spielten in der Genealogie auch völkisch-biologistische und nationalistische Motive eine Rolle, was ihre Pauschalverdammung aber nicht rechtfertigt. Selbst Graf Coudenhove-Kalergi, der Gründer der Paneuropa-Union, sprach ganz selbstverständlich von „Menschenzucht“, auf der die meisten Oligarchien beruhten, denn „sie glaubten an ihr besseres Blut und an dessen überragende Führereigenschaften“.

Das Wort „Blut“ meinte im Grunde nur, was heute durch den Begriff „Gene“ bezeichnet wird. Obwohl es zwischen genealogischen Vereinen und den Nationalsozialisten mitunter beträchtliche Differenzen gab, steht ihre Forschung seitdem im Schatten der 1933 erfolgten „Machtergreifung der Viehzüchter“. Das zeigte zuletzt die polemisch geführte Sarrazin-Debatte, welche jedoch die Verbindung von „Erbgut und sozialem Schicksal“, so der Soziologe Theodor Geiger (1891–1952), nicht widerlegen konnte.

Auch für die Psychologie, die Medizin, die Sucht- und Traumaforschung sind genealogische Erkenntnissse von Bedeutung. Das neue Buch von Volkmar Weiss wird inzwischen auch in der Bibliothek des „Hauses der Wannsee-Konferenz“ als vorhanden gelistet.

Volkmar Weiss: Vorgeschichte und Folgen des arischen Ahnenpasses. Zur Geschichte der Genealogie im 20. Jahrhundert. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2013, gebunden, 354 Seiten, 42 Euro

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