© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Horst Gernegroß wirft Nebelkerzen
Große Koalition: Die aufgeregte Diskussion über Armutszuwanderung lenkt vom dramatischen Bedeutungsverlust der CSU ab
Paul Rosen

Vor zehn Jahren lag die CSU in Umfragen bei 62 Prozent in Bayern. Edmund Stoiber hatte 2003 im Bayerischen Landtag eine Zweidrittelmehrheit der Sitze gewonnen. Stoiber, der 2002 als Kanzlerkandidat der Union knapp die Bundestagswahl verloren hatte, stand unangefochten an der Spitze des Freistaats und der CSU – und verhandelte mit der CDU über Steuerreform und Bundespräsidentenkandidatur auf Augenhöhe. „Mir san mir“, faßte die Welt das bayerisch-barocke Überlegenheitsgefühl Anfang Januar 2004 zusammen. Die Überlegenheit ist zehn Jahre später geschwunden wie der Schnee in den Bergen rund um das oberbayerische Wildbad Kreuth, in dem Strauß 1976 die Trennung von der CDU ausgerufen hatte (die drei Wochen später zurückgenommen wurde) und wo die CSU-Bundestagsabgeordneten in dieser Woche wieder zusammenkamen.

Die eifrig gepflegte Legende von Kreuth, die die CSU als konservativen Stachel im Fleisch der CDU sieht, endete schon vor Jahren – wahrscheinlich 2007, als machtbesessene Epigonen wie Günther Beckstein und Erwin Huber Stoiber stürzten, was zu einem Interregnum führte, das erst der allgemein als „Hallodri“ angesehene Horst Seehofer zu beenden schien. Nach der 2008 erlittenen Schmach, eine Koalition mit der FDP eingehen zu müssen, führte Seehofer 2013 die CSU zur absoluten Mehrheit im Münchener Maximilianum zurück. Auch bei der Bundestagswahl erzielte die CSU mit 56 Mandaten so viele Sitze im Bundestag wie noch nie.

In der Tat schien die CSU unter Seehofer wieder restauriert zu werden. Er setzte bei der Bundestagswahl nur auf ein Thema: die Einführung einer Maut auf Autobahnen für Ausländer. Er bediente damit zielsicher offenbar weitverbreitete Neidgefühle auf die bislang kostenlos auf deutschen Autobahnen fahrenden Mittel- und Osteuropäer. Dies wird nun fortgesetzt, indem die CSU Front gegen Sozialhilfemißbrauch durch Südosteuropäer aus Rumänien und Bulgarien macht und eine präzise Formel erfunden hat („Wer betrügt, fliegt“). Immerhin stehen wieder Wahlen vor der Tür: Am 16. März sind in Bayern Kommunalwahlen, und am 25. Mai finden die Europawahlen statt. Bei den Kommunalwahlen gibt es starke Konkurrenz für Seehofer und die CSU von den Freien Wählern. Und bei der Europawahl könnte die Alternative für Deutschland (AfD) der Partei wertvolle Stimmen und Sitze abjagen.

Im Freistaat hat es sich zudem längst herumgesprochen, daß es mit dem bundespolitischen Anspruch der CSU nicht mehr so weit her ist. Aus Stoibers Mitsprache auf Augenhöhe wurde Seehofers Prinzip, für Bayern etwas herausgeholt zu haben. Im Unterschied zu früheren Koalitionen mit CSU-Beteiligung ist ihre Handschrift im Vertrag mit CDU und SPD mit Ausnahme des Maut-Kapitels nicht mehr zu erkennen. Von den von Rednern der Partei in den Bierzelten beschworenen Werten, ja von Vaterland und deutschem Volk, kommt in dem Dokument nichts vor. Selbst die Ehe, deren Schutz und Förderung Strauß und Stoiber noch so am Herzen lag, wird nur mit einem Allgemeinplatz bedient.

Bei der Verteilung der Macht in der neuen Koalition wurde klar, daß die Wahlgewinnerin CSU verloren hatte, ehe es mit dem Regieren in Berlin losging. Das wichtige Innenministerium ging an die CDU. Verkehrsminister Peter Ramsauer (übrigens einer der letzten Burschenschafter in der Führungsriege) verlor sein Amt. Hans-Peter Friedrich wurde vom Innen- auf das Landwirtschaftsressort geschoben, das den wichtigen Verbraucherschutz einbüßte. Das um den Bausektor reduzierte Verkehrsministerium bekam CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, und für Entwicklunghilfe ist Gerd Müller zuständig.

Was waren das noch für Zeiten, als Theo Waigel in Bonn Finanzminister war und Stoiber Ministerpräsident in München? Gegen die CSU ging damals nichts. Heute gibt es nicht einmal mehr einen CSU-Staatssekretär im Finanzministerium. Schon macht mit Blick auf das Verhandlungsgeschick Seehofers der Name „Horst Gernegroß“ die Runde.In Schicksalsfragen wie der drohenden Aushöhlung der Demokratie und dem Verlust von Rechtsstaatlichkeit durch europäische Institutionen hat die CSU weitgehend aufgegeben. „Wir sind die Vernunfteuropäer“, sagt der neue CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der Welt und will „eurokratischen Ballast“ abwerfen. Daß die ganze Richtung nicht stimmt, ist aber selbst von Peter Gauweiler nicht mehr zu hören. Der Eurorebell wurde jetzt von Seehofer in die Parteispitze geholt, um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Gauweiler wird die Erwartungen nicht erfüllen können, da die CSU schon lange nicht mehr eurokritisch ist. „Wir können auch in der Währungsunion die Zeit nicht zurückdrehen“, sagte er denn auch dem Spiegel.

Aber Stillstand gibt es auch nicht. Nicht einmal im Seehoferschen Krähwinkel.

Foto: CSU-Parteichef Horst Seehofer mit Angela Merkel und Sigmar Gabriel: Als Wahlgewinner die Koalitionsverhandlungen verpatzt

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