© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Das Lager darf bleiben
Berlin: CDU-Innensenator Frank Henkel kann sich vorerst nicht mit seiner Forderung nach einer härteren Flüchtlingspolitik durchsetzen
Lion Edler

Noch sind die vier Männer bestens gelaunt, die sich auf die drohende Räumung des Flüchtlingszeltlagers am Berliner Oranienplatz vorbereiten. Sie sitzen in einer Art Informationszelt, das zum Gespräch mit Einwohnern und Interessierten einladen soll. Auf einem Plakat bitten die Flüchtlinge die Anwohner um „Dinge, die benötigt werden“, darunter: Gaskocher, Gasflaschen, BVG-Fahrscheine, Plaketten, Planen und Zelte.

Am Straßenrand und an den Zeltwänden prangen derweil Parolen wie „Solidarität mit den kämpfenden Flüchtlingen“ und „Kein Mensch ist illegal“. Mit Sperrholzplatten werden die Zelte verbarrikadiert, um eine Räumung zu erschweren. Eine Wandzeitung informiert über die Forderungen der Flüchtlingsproteste. Eine Auswahl: Abschaffung jeglicher Residenzpflichten, Beendigung aller Abschiebungen, dauerhaftes Bleiberecht.

Doch weil Innensenator Frank Henkel (CDU) die Geduld mit dem Zeltlager verliert, plant seine Behörde die Räumung. Die Berliner Innenverwaltung wirft den Flüchtlingen eine Verletzung des Grünanlagengesetzes vor. Anwohner klagen über offene Kabel, offene Lagerfeuer, Müll und untragbare hygienische Zustände. Ursprünglich hatte Henkel daher in dieser Woche mit einer Anweisung an das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg den Weg für eine baldige Räumung des Lagers freimachen wollen.

Koalitionsausschuß soll Lösung finden

Ins Rollen kam die geplante Räumung im Dezember, nachdem ein Anwohner, der sich durch das Zeltlager gestört fühlte, eine Klage eingereicht hatte. Das Berliner Verwaltungsgericht entschied per Eilbeschluß, daß das Bezirksamt erneut ein Einschreiten prüfen müsse. Dieses habe die durch das Lager bestehende Brandgefahr, die Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs und die Belästigungen durch Lärm und Rauch zu gering eingeschätzt, urteilten die Richter.

Weil Henkel der zuständigen Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) Versagen vorwirft, hat er die Zwangsräumung ins Gespräch gebracht. „Der Bezirk hatte es über ein Jahr in der Hand, für Ordnung zu sorgen“, schimpft Henkel in der Berliner Zeitung. Doch für den Fall, daß diese Ordnung durchgesetzt wird, drohen Linksextremisten bereits mit Krawallen. Zwar mache man sich „keinerlei Illusionen“ darüber, daß die Räumung verhindert werden könne, heißt es auf dem Szeneportal Indymedia. Denn erstens gelte es, „Menschen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus nicht zu gefährden“, und zweitens sei die Verhinderung der Räumung „angesichts der Anzahl der eingesetzten Bullen“ nicht möglich. Allerdings sei es möglich, „mit spontanen Demos, kreativen und militanten Flashmobs die Bullen gewaltig zu stressen.“ Auch Herrmann wird von Indymedia scharf angegriffen. Diese lehne sich genüßlich zurück, weil ihr die Berliner Innenverwaltung nun die „Drecksarbeit“ abnehme.

Doch die Kritik an Herrmann erregt auch den Widerspruch mancher Autonomer. Es sei „fatal“, eine „parlamentarische Linke wie Herrmann“ derart zu denunzieren, schreibt ein Berliner Autonomer, denn „je nach Region oder Bezirk“ stellten die Grünen schließlich „punktuelle Büdnispartner_innen linksradikaler Politik dar. Das gilt für Kreuzberg ganz sicherlich.“

Die linksextremen Drohungen führten dazu, daß sich bei SPD und Grünen Widerstand gegen die Räumung formiert. „Ich will ja auch die Räumung“, erklärte Herrmann. Sie warne jedoch davor, „es mit Gewalt zu tun, weil es dann zur totalen Eskalation kommen könnte“. Auch Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) zögert mit der Mitzeichnung von Henkels Vorlage. Die Berliner Morgenpost zitiert einen „führenden SPD-Politiker“, der vor der Gefahr gewarnt habe, daß sich ein Flüchtling im Falle einer Räumung selbst anzünden könne. Henkel findet es dennoch „unverantwortlich, jetzt Krawalle wie in Hamburg herbeizureden und sich dahinter zu verstecken“. Zwar befürchtet auch Henkel Ausschreitungen. Von Drohungen dürfe sich der Rechtsstaat nicht einschüchtern lassen, sagte der Innensenator der Berliner Zeitung.

Am Dienstag einigten sich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Henkel darauf, das Thema zu vertagen. Ein Koalitionsausschuß soll nun über eine mögliche Räumung entscheiden.

 

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