© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Lernen unterm Regenbogen?
Online-Petition: Die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg möchte „sexuelle Vielfalt“ auf den Lehrplan setzen / Zigtausende protestieren
Christian Vollradt

Bildungspolitik ist Machtpolitik. In amtlichen Lehrplänen wird festgelegt, was – und wie es – den Schülern ab Klasse 1 zu servieren ist, was sie wissen müssen und können sollen. Und weil das Wissen und die Fertigkeiten von Abc-Schützen oder Abiturienten nicht ganz ohne Einfluß auf deren späteres Leben, also mithin auch auf ihre Weltanschauung und politische Orientierung sind, ist nach jedem Regierungswechsel ein Eingriff in die Schulpolitik so sicher wie das Amen in der Kirche.

Besonders engagiert und gründlich war hierbei die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg, als sie 2011 die Regierungsgeschäfte übernahm. Sie hatte umgehend begonnen, das drei-gliedrige System auszuhebeln, indem sie eine finanziell sowie personell bevorzugte Gemeinschaftsschule einführte und die verbindliche Grundschulempfehlung abschaffte. Eine geplante Änderung der Lehrerausbildung, die für großen Unmut unter den Standesvertretungen sorgte, stürzte im Frühjahr 2013 dann Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD), der Parteikollege Andreas Stoch folgte.

Ihm obliegt es nun, die von seiner Amtsvorgängerin eingeleitete „Bildungsplanreform 2015“ fortzuführen, mit der fünf „zukunftsorientierte Leitprinzipien“ verankert werden sollen: berufliche Orientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung sowie Verbraucherbildung. Zusätzlich, so heißt es in einem Papier der zuständigen Bildungsplankommissionen, sollen diese Leitprinzipien „unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz sexueller Vielfalt“ umgesetzt werden.

Damit trägt man offenbar einem Ziel Rechnung, zu dem sich Grüne und Sozialdemokraten in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet haben: „Wir werden baden-württembergische Schulen dazu anhalten, daß in den Bildungsstandards sowie in der Lehrerbildung die Vermittlung unterschiedlicher sexueller Identitäten verankert wird.“

Genau das geht einigen zu weit. Über 28.000 Baden-Württemberger und mehr als 55.000 Personen deutschlandweit haben bisher eine Onlinepetition unter dem Titel „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ unterzeichnet, in der eine grundlegende Überarbeitung des Kommissionspapiers gefordert wird. Die Initiatoren der Petition um den Realschullehrer Gabriel Stängle sehen die Gefahr einer „Überbetonung einzelner Gruppen und ihrer Interessen“, die im Gegensatz zur bisher gelehrten „verantwortungsbewußten Sexualpädagogik“ stehe. Die Petenten stellen klar, daß sie das Anliegen, „Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender, Transsexuelle und Intersexuelle nicht zu diskriminieren“, unterstützen und eine „bestehende Diskriminierung im Unterricht thematisiert werden“ soll. In der vorliegenden Form schieße der Bildungsplan allerdings über dieses Ziel hinaus und laufe auf „eine pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung“ hinaus.

Kritikern der Reform wird Homophobie vorgeworfen

Ein Blick auf die konkreten Formulierungen des (von offizieller Seite bisher unter Verschluß gehaltenen) Papiers mit Stand vom 18. November 2013 trägt nicht gerade dazu bei, diesen Verdacht zu entkräften. So heißt es etwa im Abschnitt zum Leitprinzip „Bildung für nachhaltige Entwicklung“: „Schülerinnen und Schüler kennen die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Transsexuellen und Intersexuellen (LSBTTI) und reflektieren die Begegnungen in einer sich wandelnden, globalisierten Welt. Dazu gehörten das Nebeneinander von „klassischen Familien, Regenbogenfamilien, Single, Paarbeziehung, Patchworkfamilien, Ein-Eltern-Familien, Großfamilien, Wahlfamilien ohne verwandtschaftliche Bande“ sowie Kenntnisse über „schwule, lesbische, transgender und soweit bekannt intersexuelle Kultur.“

Unter dem Stichwort „Medienkompetenz“ heißt es unter anderem: „Schülerinnen und Schüler reflektieren die Darstellung von Geschlechterrollen und sexueller Vielfalt in Medien und Werbung und entwickeln eine Sensibilität für Stereotype; Schülerinnen und Schüler informieren sich in digitalen Medien über Lebenssituationen von LSBTTI-Menschen und setzen sich mit Menschenrechten und Diskriminierungen auseinander.“

Als Inhalte des Leitprinzips „Prävention und Gesundheitsförderung“ bieten die Verfasser des Papiers – fächerübergreifend für Deutsch, Sachunterricht, Religion/Ethik, Biologie oder Geschichte – folgendes an: „Vielfalt in der sexuellen Identität und Orientierung (Hetero-, Homo-, Bisexualität; Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle), Erkennen der eigenen sexuellen Identität und Respektieren anderer sexueller Identitäten und Lebensentwürfe, Zusammenhänge von Sexualität, Geschlechtsidentität und gesellschaftlichen Mustern in bezug auf die Identitätsentwicklung (erlebtes Geschlecht, biologisches Geschlecht, soziales Geschlecht, juristisch zugeschriebenes Geschlecht).“

Außerdem wird vorgeschlagen, die „Geschichte der Unterdrückung von bi-, homo-, trans- und intersexuellen Menschen, der Emanzipations- und Befreiungsbewegung, gelungene gesellschaftliche Integration (indigene Völker, polynesische Völker, EU), herausragende historische und zeitgeschichtliche LSBTTI-Menschen, Ausprägungen schwuler, lesbischer, transgender und intersexueller Kultur oder Rechte von LSBTTI-Menschen“ im Unterricht fächerübergreifend zu behandeln.

Damit werden, so kritisieren die Verfasser der Petition gegen die Bildungsplanreform, Lehrkräfte in Zukunft angehalten, die Lebensstile verschiedener sexueller Randgruppen „ohne ethische Beurteilung“ als gleich erstrebenswert zu vermitteln „und der Ehe zwischen Mann und Frau gleichzustellen“. Sie fordern stattdessen „den Erhalt des vertrauensvollen Verhältnisses von Schule und Elternhaus und den sofortigen Stopp einer zu propagierenden neuen Sexualmoral“.

Obwohl Pädagoge Stängle und seine Mitstreiter betonen, daß sie für Toleranz und gegen Diskriminierung eintreten, sich lediglich gegen die Hervorhebung einer bestimmten Gruppe wenden, wird ihnen immer wieder Homophobie unterstellt. Denn offenbar hat niemand mit einem derart großen Echo auf die Petition gerechnet. Wie die Stuttgarter Zeitung berichtete, sei man im Kultusministerium „von der heftigen Reaktion auf das Arbeitspapier überrascht“. Dort hält man die Petition für diskriminierend, schreibt die taz. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stellte sich in einer Erklärung gegen die Petenten und nannte sie „Fundamentalisten“.

Der Tendenz, das Anliegen zu diffamieren, hat dagegen unter anderem die badische Landeskirche widersprochen. Die Petition bringe „grundlegende Sorgen im Blick auf die Leitprinzipien für den Bildungsplan zum Ausdruck, die von vielen Bürgerinnen und Bürgern geteilt werden“, heißt es in einer Stellungnahme des zuständigen Bildungsreferenten der Landeskirche, Christoph Schneider-Harpprecht. Er kritisierte an den vorgelegten Leitprinzipien der Reformkommissionen, sie stellten „ohne Bezug zu einem leitenden Menschenbild einzelne grundlegende politische Forderungen nebeneinander, in denen bestimmte politische Optionen zum Ausdruck kommen.“ Politische Forderungen könnten dadurch überhöht werden, so Schneider-Harpprecht.

Diese Äußerung offenbart ein pikantes Detail. Denn im Beirat des Kultusministeriums, der sich mit der Bildungsplanreform beschäftigt, sitzen auch Vertreter der Kirchen. In einer Antwort auf eine Anfrage der CDU-Fraktion hatte Kultusminister Stoch im Oktober 2013 noch behauptet, ihm liege aus dem Beirat „keine ablehnende Stellungnahme zur Verankerung des Themas ‘sexuelle Vielfalt’ in den neuen Bildungsplänen vor“.

Allerdings, so wird von Kritikern der Reform vermutet, hatte das Kultusministerium dem Beirat gar nicht die jetzt so heftig debattierte Fassung vorgelegt, die zudem bis heute noch nicht von offizieller Seite öffentlich gemacht worden ist. Noch im September hatte sich das „Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg“ – ein Zusammenschluß von über 60 Organisationen „aus Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender-Personen, Intersexuellen und queeren Menschen“ – über die fehlende Verankerung ihrer Forderungen in den Lehrplänen beklagt. Anfang Oktober habe dann ein Gespräch mit Minister Stoch stattgefunden, bei dem dieser zugesichert habe, das Thema „sexuelle und geschlechtliche Vielfalt“ in den neuen Bildungsplänen zu berücksichtigen.

Kritiker Stängle kann sich zwar über den Zuspruch für seine Onlinepetition freuen, persönlich weht ihm jedoch ein heftiger Wind ins Gesicht. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT bestätigte das Regierungspräsidium Karlsruhe, daß eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Lehrer eingegangen sei. „Wir müssen uns allerdings erst mit dem Sachverhalt vertraut machen“, so Behördensprecher Joachim Fischer. Bisher habe man noch überhaupt nicht entschieden, ob ein Verfahren eingeleitet werde. Der Antragsteller der Beschwerde wirft Stängle offenbar vor, er habe mit seiner Petition gegen das beamtenrechtlich festgeschriebene Mäßigungsgebot sowie die Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Dienstherrn verstoßen.

Daß die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hinter der Dienstaufsichtsbeschwerde stecke, wie manche Beobachter vermuten, weist ein Sprecher gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zurück. Seiner Organisation liege lediglich eine Kopie der Beschwerde zur Kenntnisnahme vor; nähere Angaben zum Inhalt des Schreibens wollte er unter Hinweis auf die Vertraulichkeit nicht machen.

 

Die Petition

Die Petition „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ steht seit dem 28. November zur Zeichnung offen und konnte in dieser Zeit 30.000 Unterstützer aus Baden Württemberg und über 55.000 aus dem gesamten Bundesgebiet gewinnen. Noch bis zum 27. Januar 2014 kann sie online auf der Netzplattform openpetition.de gezeichnet werden. Die Petition hat zunächst keine unmittelbaren politischen Konsequenzen und ist für die grün-rote Landesregierung nicht bindend. Unabhängig von der fehlenden rechtlichen Wirkung trägt sie jedoch zur Mobilmachung und dem Schaffen einer Gegenöffentlichkeit bei und kann somit eine wichtige Vorstufe für weitere direktdemokratische Initiativen wie Volksbegehren oder Volksentscheide darstellen.

http://bildungsplan2015.de

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