© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Anzeichen der Dekadenz
Literatur: Der ungarische Schriftsteller Miklós Bánffy ist mit seiner „Siebenbürger Geschichte“ eine Entdeckung wert / Die k.u.k Monarchie in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg
Thorsten Hinz

Im Schatten des Weltkriegsjubiläums 2014 gibt es eine literarische Entdeckung von europäischem Rang zu vermelden: den ungarischen Schriftstellers Miklós Bánffy. Die Entdeckung erfolgt postum, denn Bánffy ist bereits 1950 verstorben. Sein Hauptwerk, die Ro-mantrilogie „Siebenbürger Geschichte“, erschien zwischen 1934 und 1940 und wurde damals in seinem Heimatland viel beachtet. Nach dem Krieg versank es in Vergessenheit, denn der hochadlige Autor und das Sujet, das er schilderte, waren den Machthabern suspekt. Nach 1989 setzte in Ungarn seine Wiederentdeckung ein. Inzwischen sind zwei der drei Romane ins Deutsche übersetzt und im Wiener Zsolnay-Verlag erschienen.

Die Trilogie führt in das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg und in die Welt der ungarischen Hocharistokratie. Die Titel „Schrift im Flammen“ und „Verlorene Schätze“ spielen auf den babylonischen König Belsazar an, dem ein Menetekel den Untergang seines Reiches ankündigt. Die biblische Geschichte ist für Bánffy ein Gleichnis für die Donaumonarchie Österreich-Ungarn.

Blind und ahnungslos wie Belsazar agiert die ungarische Oberschicht. Sie pendelt zwischen ihren Landgütern in Siebenbürgen, den Stadtwohnungen oder Palais in Budapest und den europäischen Metropolen. Bánffy entwirft ein farbenprächtiges Panorama vom gesellschaftlichen Leben, das von Bällen, Empfängen, Jagden ausgefüllt wird. Daneben gibt es die üblichen Intrigen, Affären, Eifersüchteleien, das Streben nach der guten Partie.

Jedem Detail verleiht Bánffy sinnliche Qualitäten und weist ihm gleichzeitig eine Bedeutung als Zeitsymptom zu. Oft sind es Symptome der Dekadenz, von der fehlenden Selbstdisziplin über die moralische Degeneration bis zum klinischen Schwachsinn. Es gibt den jungen Offizier, der sich verschuldet und als Heiratsschwindler betätigt, und das in Konventionen eingesperrte, unerfahrene Mädchen aus reichem Hause, das von der romantischen Liebe träumt und in ihm den weißen Ritter erblickt. Ein verarmter, aber hochbegabter junger Graf verschleudert sein künstlerisches Talent, verspielt sein Resterbe im Kasino und geht endgültig am Alkohol zugrunde, nachdem er seine große Liebe nicht heiraten darf, weil die ehrgeizigen Pläne ihrer Mutter dem entgegenstehen.

Die Ungarn verteidigten verbissen ihre Privilegien

Zugleich wird die dünkelhafte Herrenschicht von den Untergebenen manipuliert und gegeneinander ausgespielt. Die Hauptfigur, der junge Adlige Bálint Abády, sieht zwar, daß die Dinge so nicht weitertreiben können, doch weder im Budapester Parlament noch auf den Familiengütern gelingt es ihm, wirkliche Reformen anzustoßen.

Zu Hause erliegt die Mutter den Einflüsterungen ihres Verwalters, der sich unter der Hand und hinter der Maske der Loyalität immer mehr vom Besitz aneignet. Stolz und starrsinnig blockiert sie Bálints Modernisierungsversuche.

Es gibt viele Berührungspunkte zwischen Bánffys Romanen und der Literatur der Wiener Schule, aber auch einen bedeutenden Unterschied: Während Roth, Schnitzler oder Zweig in der österreichischen Oberschicht eine müde Resignation konstatieren, glaubt die Elite der verspäteten ungarischen Nation noch, geschichtlich in Saft und Kraft zu stehen.

Die politische Konfliktlinie verläuft zwischen den sogenannten „48ern“ und den „67ern“. Die einen berufen sich auf die antihabsburgische Unabhängigkeitsbewegung von 1848, die anderen auf den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867, der eine Doppelmonarchie aus zwei weitgehend autonomen Reichsteilen konstituierte. Ihre Einheit wurde vor allem durch die Person des Kaisers verbürgt, der zugleich König von Ungarn war. Die „48er“ wollten die Doppelmonarchie keineswegs auflösen, aber sie glaubten, daß die „67er“ zu nachgiebig gegenüber Wien seien. Der Konflikt war ein klarer Anachronismus, weil er an der brisanten Nationalitätenfrage im Habsburgerreich vorbeiging. Die Ungarn ließen jedes Fingerspitzengefühl im Umgang mit den Slawen und den Rumänen vermissen und verteidigten verbissen ihre Privilegien.

Das war um so gefährlicher, weil die internen Streitereien internationale Auswirkungen hatten. Die Rumänen besaßen im benachbarten Königreich eine natürliche Schutzmacht, und die Slawen gerieten zunehmend in Verzückung über die panslawistischen Sirenengesänge aus Rußland. Es war schlecht bestellt um die politische Reife der Habsburger Völkerschaften und die Tragödie der Nachfolgestaaten des 1918 aufgelösten Reiches vorprogrammiert. Bánffys Romane können helfen, auch die Gegenwart besser zu begreifen.

Die große Politik nimmt im zweiten Buch größeren Raum ein als im ersten. Die Verknüpfung mit der Handlung ist nicht immer überzeugend, die anspielungsreiche Beiläufigkeit des Salongesprächs, die man bei Proust oder auch Fontane in Vollendung vorfindet, ist Bánffy weniger gut gelungen. Doch das ist auch die einzige Schwäche dieses gewaltigen Romanwerks.

Von den rumänischen Kommunisten enteignet

Miklós Bánffy wurde 1873 im siebenbürgischen Klausenburg – Kolozsvár, rumänisch Cluj – geboren. Er entstammte einer schwerreichen Adelsfamilie. Er war zeitweilig Parlamentsabgeordneter, bis 1918 leitete er die Budapester Oper und das Nationaltheater, 1921/22 war er sogar ungarischer Außenminister. 1926 kehrte er auf seine durch die Zeitläufte geschrumpften Besitzungen nach Siebenbürgen zurück und optierte zu dem Zweck für Rumänien, dem die Pariser Vorortverträge das Gebiet zugesprochen hatten.

Im Zweiten Weltkrieg scheiterte er mit dem Plan, für Ungarn und Rumänien einen Sonderfrieden herbeizuführen und geriet zwischen die Fronten. Am Ende des Krieges war sein Schloß vernichtet, der Rest wurde von den rumänischen Kommunisten enteignet. Im Herbst 1949 durfte er nach Ungarn ausreisen, wo er 1950 in tiefster Armut starb. Seine „Siebenbürger Geschichte“ war nun unerwünscht, denn sie erinnerten an den ungarisch-rumänischen Nationalitätenkonflikt, den es unter „kommunistischen Bruderstaaten“ gar nicht geben durfte.

Der Übersetzer und Herausgeber Andreas Oplatka kam 1956 aus Ungarn in die Schweiz. Fast dreißig Jahre war er als Korrespondent für die Neue Zürcher Zeitung tätig. Nun präsentiert er den deutschen Lesern einen großen europäischen Epiker. Gespannt wartet man auf den abschließenden dritten Band der Trilogie.

Miklós Bánffy: Die Schrift in Flammen. Roman. Aus dem Ungarischen von Andreas Oplatka. Zsolnay Verlag, Wien 2012, gebunden, 795 Seiten, 27,90 Euro

Miklós Bánffy: Verschwundene Schätze. Roman. Aus dem Ungarischen von Andreas Oplatka. Zsolnay Verlag, Wien 2013, gebunden, 558 Seiten, 27,90 Euro

Foto: Franz Joseph I., Kaiser von Österreich (1848–1916) und König von Ungarn (1867–1916), und Elisabeth auf der Jagd im südmährischen Göding: Miklós Bánffy entwirft ein farbenprächtiges Panorama vom gesellschaftlichen Leben, das von Bällen, Empfängen, Jagden ausgefüllt wird.

Daneben gibt es die üblichen Intrigen, Affären, Eifersüchteleien, das Streben nach der guten Partie.

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