© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Den kalten Krieg beenden
Kritik an Putins Rußland ist wohlfeil. Statt moralischer Entrüstung wäre souveräne Außenpolitik angebrachter
Thorsten Hinz

Die Stimmung zwischen dem Westen und Rußland ist gereizt. Die Mißstimmung ist einseitig, sie wird vom Westen verbreitet. Deutschland tut sich im Chor der Rußland-Kritiker am lautesten hervor. Die Berichterstattung deutscher Medien über Rußland klingt feindselig. Ihr Tunnelblick richtet sich auf zweifelhafte Figuren wie die Vagina-Akrobatinnen von Pussy Riot oder auf den Oligarchen Michail Chodorkowski. Deutsche Politiker drängeln sich nach vorn, wenn Rußland wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Menschenrechtsverletzungen angeprangert wird oder wenn – wie jetzt in der Ukraine – Forderungen erhoben werden, die Rußland als Angriff auf seine Interessen ansieht.

Die Hauptzielscheibe der Kritik bildet Präsident Wladimir Putin. Er sei autoritär, undemokratisch und imperial gesinnt, heißt es. Hämisch wird auf seine Vergangenheit als KGB-Offizier verwiesen. Es sei daran erinnert, daß auch Amerikas früherer Präsident George Bush senior vordem Dienst bei der CIA getan hatte. Die Deutschen haben trotzdem Grund, seine Präsidentschaft in der Zeit der Wiedervereinigung zu den glücklicheren Fügungen zu zählen.

Auch steht der antirussische Theaterdonner, der im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi nochmals verstärkt wird, im Kontrast zur Samtpfötigkeit gegenüber den Golfscheichs, die 2022 die Fußball-WM ausrichten und mit Demokratie und Menschenrechten weit weniger im Sinn haben als Putin. Die Vorwürfe sind nur vorgeschoben oder Mittel zum Zweck. Es fällt den westlichen Politikern und Medienvertretern schwer, den Zorn darüber zurückzuhalten, daß ihnen mit Putin ein Präsident gegenübersteht, der die nationalen Interessen Rußlands klug abwägt und zu wahren versteht.

Der Entschluß von Bundespräsident Joachim Gauck, nicht an den Olympischen Winterspielen in Sotschi teilzunehmen, stellt den vorläufigen Höhepunkt deutscher Brüskierungen Putins dar. Gewiß, in Gaucks Familiengeschichte spiegeln sich die Erblasten der deutsch-russischen Beziehungen wider, die bei vielen Ost- und Mitteldeutschen schwer wiegen. Gaucks Vater war von den Sowjets verhaftet und jahrelang im Gulag inhaftiert worden. Doch das darf heute kein Maßstab für die zwischenstaatliche Politik sein.

Putins Familie stammt aus Sankt Petersburg (früher Leningrad) und hat unter der deutschen Blockade im Zweiten Weltkrieg schwer gelitten. Trotzdem ist Putin ausgesprochen deutschfreundlich und verzichtet darauf, den Deutschen die Schrecken des Krieges vorzuhalten. Im Unterschied zu den europäischen Partnern, die stets die Faschismus-Karte ziehen, wenn die Zahlungswilligkeit Berlins nachzulassen droht.

Natürlich ist Putin kein „lupenreiner Demokrat“, wie einst Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ihn nannte. Das kann er gemäß seinen Prägungen, aber auch den Notwendigkeiten, Traditionen und Zwängen der russischen Politik überhaupt nicht sein. Lupenreine Demokraten könnten sich auch im Westen, der längst in der Postdemokratie angekommen ist, schwerlich behaupten. Die Kritik internationaler Nichtregierungsorganisationen, die in Rußland arbeiten und ihre Kontrolle und Maßregelung durch Putin beklagen, kann gleichfalls kein Maßstab sein. Die russische Seite hat alles Recht der Welt, nach der Legitimation und Finanzierung solcher Organisationen zu fragen. Diese sollten selber ein Interesse daran haben, schnellstens den Verdacht zu zerstreuen, daß ihre Tätigkeit von fremden Staaten und Diensten gesteuert wird.

Gibt es überhaupt eine eigenständige deutsche und europäische Rußland-Politik? Berlin und Brüssel treten jedenfalls auf wie die Postboten des amerikanischen Hegemons. Die Blaupause der Politik Washingtons kann man in Zbigniew Brzezinskis Buch „Die einzige Weltmacht“ nachlesen. Brzezinski fordert ein „energisches, konzentriertes und entschlossenes Einwirken Amerikas besonders auf die Deutschen, um die Ausdehnung Europas zu bestimmen“. Die Ukraine rechnet er dazu. Freimütig räumt er ein, daß Rußland ohne die Ukraine „kein eurasisches Reich mehr“ bildet.

Darum geht es. Zu diesem Zweck soll eine eigenständige deutsche Rußland-Politik verhindert werden. Andernfalls verlöre Europa „seine Funktion als eurasischer Brückenkopf für amerikanische Macht und als mögliches Sprungbrett für eine Ausdehnung des demokratischen Globalsystems in den eurasischen Kontinent hinein“. Das sind die wirklichen, die politischen Gründe für die antirussische Stimmung, die Politik und Medien verbreiten.

Putin wird bekämpft, weil er diese Strategie durchschaut und ihr entgegentritt. Vor einigen Monaten sprach er von Versuchen, „das unipolare, unifizierte Modell der Welt zu begründen, Institutionen des internationalen Rechts und nationaler Souveränität zu relativieren und aufzuheben“.

In einer unipolaren, einheitlichen Welt sei kein Platz für souveräne Staaten, sie brauche nur Vasallen. Sie würde „das Aufgeben der eigenen Identität und der von Gott geschaffenen Vielfältigkeit bedeuten“. Putin ist wohl der letzte europäische Politiker von Rang, der sich explizit um die metaphysische Rückbindung des Politischen bemüht. Dazu gehört ebenso, daß er öffentlich die Ehe zwischen Mann und Frau über eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft stellt.

Deutsche Politiker von Joachim Gauck bis zum Grünen Cem Özdemir sind fest in die trans-atlantischen Netzwerke eingebunden. Aus ihrer Sicht ist es nicht nachvollziehbar, daß Putin zuweilen über den Westen als einen erloschenen Stern redet, dessen Licht zwar noch durchs All strahlt, doch ohne zu wärmen. Der Frage aber, ob es tatsächlich im deutschen und europäischen Interesse liegt, die Beziehungen zum eurasischen Anrainer vorsätzlich zu verderben, werden sie nicht dauerhaft ausweichen können.

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