© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Kulturkampf im Südwesten
Baden-Württemberg: Grün-Rot ist vom wachsenden Widerstand gegen die Pläne zur Homosexuellen-Lobbyarbeit an Schulen überrascht
Michael Paulwitz

Der Bildungsplan-Entwurf der grün-roten Landesregierung für die baden-württembergischen Schulen (JF 4/14) hat mit seiner gender-ideologischen Ausrichtung einen kleinen Kulturkampf ausgelöst, bei dem selbst die evangelische Kirche ausnahmsweise nicht eindeutig auf der Seite der links-progressiven Gesellschaftsveränderer steht.

In einer gemeinsamen Presseerklärung kritisieren die evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg und die katholischen Diözesen die schul-, fächer- und klassenübergreifenden „Leitprinzipien“ des Bildungsplans, in dem zwar nicht von Ehe und Familie die Rede ist, um so mehr dafür von dem Ziel, daß Schüler „die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von/mit LSBTTI-Menschen“ kennen und „reflektieren“ sollen. „LSBTTI-Menschen“ sind dabei keine Aliens, die Abkürzung meint „Menschen mit einer lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender- oder intersexuellen Identität“. Das Kirchenpapier ruft dazu auf, „jeder Form von Funktionalisierung, Instrumentalisierung, Ideologisierung und Indoktrination […] zu wehren“.

Grüne warnen vor „Fundamentalisten“

Ins Rollen gebracht hatte den Stein Mitte Dezember der evangelische Realschullehrer Gabriel Stängle mit einer Online-Petition gegen die „pädagogische, moralische und ideologische Umerziehung“ von Schülern im Zeichen des „Bildungsplans“, deren Unterzeichnerzahl sich allein im Laufe der vergangenen Woche auf über 125.000 verdoppelt hat. Der übliche Versuch, den Unmut der Bürger über den ideologischen Handstreich mit der Nazikeule zu erledigen, ging angesichts der massiven Solidarisierung nicht auf, auch wenn die Grünen-Landeschefin sich durch die Petition prompt „an rechtsextreme und fundamentalistische Strömungen“ erinnert fühlte, SPD-Politiker dem Initiator den „Ungeist der Intoleranz“ vorwarfen und die GEW-Landeschefin Doro Moritz sich über „Fundamentalisten“ an der Schule empörte, womit sie natürlich Lehrer Stängle meinte und nicht etwa über „LSBTTI-Menschen“ referierende Gender-Ideologen. Stängle gab dem Druck mittlerweile nach und trat als Referatsleiter im Realschullehrerverband zurück.

Zusätzlichen Schwung bekam der Protest, als schließlich auch die Landespolitik das Thema entdeckte. FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke brachte es nur zu einem entschiedenen „Vielleicht“ – er würde die Petition zwar „so nicht unterschreiben“, aber bei Grün-Rot komme in der Tat die Familie zu kurz. Sein CDU-Kollege Peter Hauk langte kräftiger zu, kritisierte die „Überhöhung der sexuellen Vielfalt“ zum „Leitprinzip“ als „nicht gerechtfertigt“ und verwies auf Artikel 16 der baden-württembergischen Landesverfassung, wonach „die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte“ erzogen werden sollen.

Von solchen Einwänden unbeeindruckt, dreht sich das Lobbyisten-Karussell munter weiter. Zwar rudert man in den Regierungsfraktionen angesichts des unerwarteten Widerstands ein paar Schläge zurück, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen erkennt „unglückliche“ Formulierungen, und der SPD-Kollege tut das Papier als verbesserungsfähigen „Zwischenstand“ ab. Die SPD sprang dem sozialdemokratischen Kultusminister Andreas Stoch dagegen umgehend mit einer Resolution bei, der Realschullehrerverband distanziert sich von seinem Kollegen, der sich wegen seiner Petition mittlerweile mit Strafanzeigen und einer Dienstaufsichtsbeschwerde herumschlagen muß, und der „Verein lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Baden-Württemberg“ – auch den gibt es – weitet das Kampffeld gleich auf die Thematisierung „sexueller Vielfalt“ in der Polizeiausbildung aus. Thomas Hitzlsperger, der nach Beendigung seiner Fußballerlaufbahn und „Coming-out“ offenbar eine Zweitkarriere als Homosexuellen-Experte anstrebt, meldete sich ebenfalls zu Wort, und für den Landesschülersprecher und angehenden Politikstudenten Christian Stärk ist die ganze Debatte bloße „Panikmache“ und die Kritik der Kirchen rundweg „Quatsch“.

Protestanten sind zerrissen

Die evangelischen Kirchen in Baden-Württemberg tun sich freilich selbst schwer damit, dem linksgrünen Zeitgeist allzu konfrontativ entgegenzutreten. Evangelische Allianz, Pietisten und Bekennende Gemeinschaften unterstützten die von EKD-Ratsmitglied Tabea Dölker mitunterzeichnete Petition und wehren sich, wie die Evangelische Lehrer- und Erziehergemeinschaft in Baden-Württemberg, gegen die Vorherrschaft „bunter“ Lebensentwürfe und die Abwertung des „lebensstiftenden Gegenübers in der Partnerschaft von Mann und Frau“ als hinterfragbare „Stereotypen“; linksliberale Vereinigungen und Synodalen verurteilen die Petition scharf. Symbolisch für die Zerrissenheit der Protestanten steht der Bildungsreferent der badischen Landeskirche, Oberkirchenrat Christoph Schneider-Harpprecht, der einerseits kritisiert, daß in dem Plan Homosexualität als gesellschaftliche Normalität dargestellt werde, andererseits den Petenten vorwirft, „Ängste zu schüren“.

Kultusminister Andreas Stoch, den die württembergische evangelische Landeskirche schon im Dezember auf Mängel seines Bildungsplans angesprochen haben will, bleibt unbeeindruckt. Gleich zwei Gegenpetitionen unterstützen inzwischen seine Position. Daß Schulen Orte des Lernens und Arbeitens sein sollten und nicht ideologischer Manöverplatz für Randgruppenlobbys, gerät auch im Südwesten in Vergessenheit.

Foto: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mit Vertretern von Homosexuellen-Verbänden: „LSBTTI-Menschen“

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