© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Der König ist tot
Israel: Nach acht Jahren im Koma ist der frühere Premierminister, Verteidigungsminister und General Ariel Scharon gestorben
Thorsten Brückner

Sein erster Tag im Amt begann in aller Stille. Anstatt in Jerusalem erste Gespräche über sein neues Kabinett zu führen, fuhr Ariel Scharon an das Grab seiner geliebten Frau Lily. Ein Jahr vor seiner Wahl zum Premierminister war sie ihrem Krebsleiden erlegen und konnte nicht mehr miterleben, wie der Mann, der zeitweise der meistgehaßte Politiker Israels war, zum Premierminister gewählt wurde. Sie wünsche sich nicht, daß ihr Mann Premierminister werde, sagte Lily einmal. Nur in einer für Israel desolaten Situation könne er gewählt werden, und sie hoffe nicht, daß es zu einer solchen Situation komme. Die desolate Situation kam – in Gestalt des palästinensischen Terrors. Bombenanschläge – für die Israelis seit dem Herbst 2000 wieder trauriger Alltag.

Das Resultat von sieben Jahren Friedensverhandlungen war der blanke Terror. So empfanden es zumindest die Israelis. Der palästinensischen Behauptung, Scharon sei durch seinen Besuch auf dem Tempelberg für den Gewaltausbruch verantwortlich, glaubte in Israel niemand. 62 Prozent schenkten an jenem für das Land so schicksalhaften Dienstag im Februar 2001 dem Bulldozer aus der Negev-Wüste ihr Vertrauen. Ihm, Arik, den sie nach seiner Heldentat im Jom-Kippur-Krieg den König von Israel riefen und als Vater des Siedlungsbaus verehrten, trauten sie am ehesten zu, den Terror erfolgreich zu bekämpfen. Und genau das tat er mit kompromißloser Härte. Doch Scharon überraschte – vor allem die, die ihn allzu leichtfertig in eine Schublade gesteckt hatten.

Wer in Scharon einen Politiker sah, der aus messianischem Eifer heraus Siedlungen bauen ließ, mußte sich im April 2004 die Augen reiben, als er seinen Plan bekanntgab, den Gaza-Streifen zu räumen. Anders als für viele nationalreligiöse Juden hatten für Scharon die Siedlungen stets nur strategischen Wert. Für die Siedler, seine treuesten Unterstützer, mutierte er zum Verräter. „Gaza judenrein“ stand 2005 in deutscher Sprache auf zahlreichen Plakaten, die die Siedler im ganzen Land aus Protest gegen die Räumung aufstellten. Der Mann, der einst verkündete, das Schicksal der Gaza-Siedlung Netzarim sei das Schicksal Tel Avivs, bekam nun Morddrohungen. Der Rückzug aus Gaza stellte sich als Zerreißprobe für den Staat Israel heraus. Bilder von Soldaten, die weinende Mädchen aus ihren Häusern trugen, bevor diese dem Erdboden gleichgemacht wurden, prägten sich tief in das kollektive Gedächtnis der Nation ein.

Der Krieger (so der Titel von Scharons Autobiographie), der sich während seiner Zeit im Militär nur selten an Befehle hielt und 1982 als Verteidigungsminister eigenmächtig die libanesische Hauptstadt Beirut eroberte, nahm für den Gaza-Abzug auch die Spaltung des Likud in Kauf, den er selbst mitgegründet hatte. Seiner neuen Partei, deren Name „Kadima“ (Vorwärts) auch als Scharons Lebensmotto verstanden werden kann, schloß sich mit Shimon Peres auch ein langjähriger Weggefährte aus dem gegnerischen Lager an. Premierminister für seine neue Partei wurde Scharon nicht mehr.

Ein Schlaganfall im Januar 2006 stoppte ihn jäh. Er fiel in ein Koma, aus dem er nie wieder erwachte. Als ihm, im Koma liegend, ein Bild seiner Frau Lily gezeigt wurde, soll ihm, so berichtet eine Krankenschwester, eine Träne über die Wange geglitten sein. Sein Weg endete am Montag dort, wo er am Tag nach seiner Wahl die Einsamkeit gesucht hatte. Auf einem Hügel unweit seiner Ranch in der Negev-Wüste fand Arik Scharon neben seiner Frau Lily seine letzte Ruhe

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