© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Westbindung der Ukraine
Schutzwall gegen Moskau
Dieter Farwick

Das „Pro“ zu einer aktiven Westanbindung der Ukraine fällt nicht leicht, da es ernstzunehmende Einwände gibt, die man jedoch in einem größeren geopolitischen Zusammenhang sehen muß.

Geopolitisch war die Ukraine für die damalige Sowjetunion im „Kalten Krieg“ ein wichtiger „Flugzeugträger“ gegen die Nato. Der Verlust ist für Putin bitter. Es ist kein Wunder, daß der Kollaps der Sowjetunion in seinen Augen die „größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ ist. Für ihn ist die Ukraine ein attraktives Objekt, zumindest wichtige Teile der Sowjetunion zu restaurieren. Als Einstieg zu seiner Vision der „Eurasischen Union“ sieht er die „Zollunion“ – bislang mit den Mitgliedern Weißrußland und Kasachstan.

Nach der Befreiung vom Joch der Sowjetunion drängte ein großer Teil der Bevölkerung der Ukraine zu einer schnellen Anbindung an den „Westen“. Es kam zur „Orangen Revolution“, die die russische Führung mit Sorge beobachtete.

In der ersten Euphorie schien der Beitritt der Ukraine zu Nato und EU als möglich, zudem der „Westen“ diese Stimmung förderte und in der Ukraine und Georgien potentielle Mitglieder für die Nato und die EU sah.

Seit 1991 gab es wechselnde Mehrheiten in der entscheidenden Frage: West- oder Ostanbindung. Nach der „Orangen Revolution“ schlug unter Ministerpräsidentin Julia Timoschenko das Pendel in Richtung Westen aus, bis unter Präsident Wiktor Janukowitsch das Pendel wieder in die andere Richtung schlug.

Was führte zur Zuspitzung im Jahre 2013? Die EU führt seit Jahren Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, das im Dezember in Brüssel – in Anwesenheit von 28 EU-Staatsoberhäuptern – unterschrieben werden sollte – argwöhnisch verfolgt von Putin.

Das vorläufige Abkommen umfaßt mehrere hundert Seiten mit den entscheidenden Punkten:

• Die EU bot Janukowitsch eine Milliarde Euro als Kredit an.

• Die Ukraine sollte sich über einige Jahre den EU-Standards nähern, was die Ukraine über die Jahre rund 165 Milliarden kosten würde. Darüber hinaus sollte die Ukraine die Gaspreise um vierzig Prozent erhöhen.

• Außerdem war die Freilassung von Julia Timoschenko eine Conditio sine qua non.

Dieses Angebot für einen Präsidenten eines nahezu bankrotten Staates ist ein „diplomatischer GAU“ für die EU. Wer dieses Abkommen zur „Unterschriftsreife“ entwickelt hat, gehört zur Verantwortung gezogen – besonders die Hohe Beauftragte der EU Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton. Die deutsche Kanzlerin hat wenig Einfluß auf die Verhandlungen genommen.

Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin war damit die Wiese gemäht.

Nach früheren Erpressungsversuchen mit dem Abschalten der Öl- und Gaslieferungen und der Vorwärtsstationierung von Atomraketen vom Typ Iskander konnte er den Wohltäter spielen. In einem kurzen Gespräch bot er Janukowitsch einen Kredit über 10 Milliarden Euro und einen Rabatt für Öl und Gas über 30 Prozent an. Rußland mit seinen 140 Millionen Einwohnern und großen innenpolitischen Problemen kann sich das leisten, was rund 500 Millionen Europäer nicht leisten können oder wollen.

Nur die Europäische Union kann den Menschen in der Ukraine helfen, eine freiere, bessere Zukunft zu gestalten.

Der Macht- und Interessenpolitiker Wladimir Putin hat die erste Runde gewonnen, weil er primär in geo- und machtpolitischen Kategorien denkt und nicht mit primärem Blick auf universelle Werte und Menschenrechte wie die Verhandlungsführer der EU.

Die Ukraine ist für den Westen von großer geopolitischer Bedeutung. Sie würde mit der autonomen Provinz Krim einen Schutzwall bilden gegen die Unwägbarkeiten der Entwicklung Rußlands, das in den nächsten 15 Jahren im- oder explodieren kann. Moskaus Rüstungsanstrengungen sind erstaunlich.

Es ist Janukowitsch hoch anzurechnen, daß er den Beitritt zur Zollunion nicht unterschrieben hat. Hier kann die EU ansetzen. Sie muß eine ganzheitliche Anbindungspolitik gegenüber der Ukraine entwickeln. Mit dem Ziel, daß die Mehrheit der Ukrainer bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2015 einen Präsidenten wählt, der die Westanbindung für das Volk betreibt, denn nur die EU kann den Menschen in der Ukraine helfen, eine freiere, bessere Zukunft zu gestalten.

 

Dieter Farwick, Jahrgang 1940, ist Brigadegeneral a.D. und Publizist. Der langjährige Chefredakteur des Onlinedienstes „World Security Network“ war Berater des einstigen Bundesverteidigungsministers Manfred Wörner und ist Mitglied des International Institute for Strategic Studies, London.

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