© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/14 / 17. Januar 2014

Knapp daneben
Umgekehrte Ausbeutung
Karl Heinzen

Debatten über einen flächendeckenden Mindestlohn speisen sich aus einem alten Vorurteil. Unternehmen, so sagt die Mehrwertlegende, erzielen Gewinne, weil es ihnen gelingt, den Beschäftigten einen gewichtigen Teil der Erträge, die sie, und nur sie, durch ihre Arbeit erwirtschaften, vorzuenthalten und in die Tasche der Kapitaleigner fließen zu lassen. Da man Furcht hat, dieses System grundsätzlich umzukrempeln, soll der Staat wenigstens für ein bißchen mehr Gerechtigkeit sorgen.

Die soziale Wirklichkeit sieht heute jedoch anders aus, als uns die antiquierte Mär vom Gegensatz von Kapital und Arbeit weismachen möchte. So gibt es in Deutschland etwa 4,5 Millionen Selbständige, von denen ein gewichtiger Teil gar keine Beschäftigten um die Früchte ihrer Arbeit bringen kann, weil es sich um Ein-Mann-Unternehmen handelt. Vielen von ihnen, so weisen Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus, gelingt es nicht einmal, die eigene Arbeitskraft erfolgreich auszubeuten.

Die Arbeitnehmer kassieren, und die Arbeitgeber können sehen, wo sie bleiben.

Fast jeder dritte verdient sogar weniger als ein abhängig Beschäftigter, der bald in den Genuß eines Mindestlohnes von 8,50 Euro pro Stunde käme. Unterhalb dieser Grenze liegt aber auch das Einkommen von 330.000 Unternehmern, die Beschäftigte eingestellt haben. Hier scheint sich das Ausbeutungsverhältnis umgekehrt zu haben: Die Arbeitnehmer kassieren, und die Arbeitgeber können sehen, wo sie bleiben. Auch eine hohe Qualifikation scheint keine Gewähr für ein passables Einkommen zu sein: Laut DIW sind 22 Prozent der akademischen Selbständigen dem unternehmerischen Prekariat zuzurechnen.

Durch Arbeit kann man nicht reich werden. Dies gilt nicht nur für das Gros der abhängig Beschäftigten, sondern auch für viele Unternehmer. Der Staat kann daran nichts ändern, da er keinen Wohlstand schafft, sondern diesen bloß umverteilt. Durch einen gesetzlichen Mindestlohn möchte er verhindern, daß Menschen der Armut verfallen, obwohl sie arbeiten. Das ist legitim, aber einseitig. Er muß auch Unternehmern ein angemessenes Auskommen garantieren. Ein gesetzlicher Mindestgewinn wäre dazu das richtige Mittel.

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