© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Da läuft was verqueert
„Akzeptanz“: Die Schule muß Kindern nicht beibringen, was sie gut zu finden haben
Birgit Kelle

Die Nervosität der Queer-Lobby ist groß. Drohen in Deutschland etwa französische Verhältnisse mit Massenprotesten gegen Homoehe und weitere Vorhaben zur Durchsetzung weiterer Rechte für die Minderheiten der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Transsexuellen? Das Internetportal „queer.de“ widmete sich am Wochenende in einem ausführlichen Kommentar der Protestbewegung in Baden-Württemberg gegen den neuen Bildungsplan der Schulen, wonach alle neu formulierten Leitprinzipien unter dem Gesichtspunkt der „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ umgesetzt werden sollen.

Über 150.000 Menschen haben inzwischen die Online-Petition gegen diesen Bildungsplan unterschrieben, und in der Tat ist es das erste Mal, daß sich in Deutschland ein organisierter Widerstand formiert, den es in diesem Ausmaß bislang nicht gab. „Queer.de“ kommentiert das so: „Religiöse und politische Extremisten haben in Baden-Württemberg also in einer ungewohnten Allianz die Massen, die Mitte der Gesellschaft mobilisiert, und die bange Frage ist, ob das erst der erste Schritt war“, und gibt damit auch gleich zu Protokoll, was von Anfang an versucht wurde: alle Gegner des Bildungsplans spontan in eine homophobe, extreme, fanatische oder gar politisch extreme Ecke zu stellen, so als gäbe es nicht auch vernünftige Gründe, diesen Bildungsplan abzulehnen. Nein, es müssen doch irgendwie Fundamentalisten sein, die sich hier organisieren.

Abseits des nun ausgebrochenen Geschreis zwischen den Fronten der angeblich „Homophoben“ und der Seite der ach so „Toleranten“ fällt auf, daß die Faktenlage immer mehr in den Hintergrund gerät, so als ginge es hier darum, Homosexualität aus den Schulen zu verbannen, nicht mehr zu benennen, nicht mehr zu thematisieren. Nichts davon fordert diese Petition. In unseren Schulen ist dank des flächendeckenden Sexualkundeunterrichtes diese Thematik bereits Normalität. Ob nun Regenbogenfamilien, schwul, lesbisch, Transgender, jede Frage darf gestellt, jedes Thema besprochen werden. Wie ausführlich, hängt vom Lehrer und übrigens auch von den Schülern ab. Bevor wir also anfangen, uns mit der Erweiterung des Bestehenden zu befassen, wäre es längst überfällig, sich einmal in einer offenen Debatte über den bereits existenten Sexualkundeunterricht zu unterhalten. Da hätten wir schon Zündstoff genug. Mit seiner Reichweite, seinem Sinn und Unsinn, damit würde man sich dem Thema viel besser nähern. Muß Sexualaufklärung bereits in der Grundschule stattfinden? Oder gar davor schon im Kindergarten, wie es die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in einem Positionspapier, das gemeinsam mit der WHO erarbeitet wurde, empfiehlt?

Merkmal des jetzigen Sexualkundeunterrichtes ist es, daß er in allen Bundesländern unterschiedlich ist, unterschiedlichen Inhalt hat, durch unterschiedlichste Kooperationspartner realisiert wird, kaum konkrete Richtlinien und schon gar nicht verbindliche Unterrichtsmaterialien hat. Es ist die Katze im Sack – das ist übrigens die größte Querschnittsmenge zum neuen Bildungsplan in Baden-Württemberg.

Für Eltern bedeutet dies: Man muß das Glück haben, für seine Kinder einen Lehrer abzubekommen, der die Themen sensibel und überlegt vermittelt, aber man kann auch Pech haben mit einem ganz besonderen Eiferer. Angeheizt durch die Debatte tauchen inzwischen immer mehr Beispiele über mißglückten oder zumindest fragwürdigen Sexualkundeunterricht auf, indem Eltern Beispiele ins Netz stellen, was ihre Kinder so erlebten. Die Geschichten zeigen, die Definition von „altersgerechtem“ Unterricht ist sehr breit gefächert, um nicht zu sagen beliebig, nicht selten werden die Kinder mit Themen behelligt, die sie in ihrem Alter überfordern.

Aus Elternsicht ist dies nicht befriedigend, zumal man seine Kinder nicht von diesem Unterricht fernhalten kann. Wer es versucht, landet notfalls auch in Beugehaft, wie schon mehrfach geschehen. Möglicherweise ist also der Alarmstatus der Petitionsunterstützer zu dem neuen Bildungsplan deswegen so hoch, weil bereits mit dem bestehenden Sexualkundeunterricht derart viel Unzufriedenheit herrscht, daß man nun befürchtet, die durchaus zweifelhaften Lehrinhalte würden sich jetzt auf weitere Fächer ausbreiten. Und genau das ist ja der Plan.

Der neue Bildungsplan in Baden-Württemberg ist also in dem Sinne nicht innovativ, indem er Themen der Sexualität neu in die Schule bringt, sie sind längst da. Neu ist nur die Intensität – sie sollen aus der angeblichen Enge des Sexualkundeunterrichtes und der Biologie raus und in zahlreiche zusätzliche Fächer hinein: Deutsch, Geschichte, Sozialwissenschaften.

Neu ist allerdings die inhaltliche Gewichtung, sie ist nicht neutral, geht über Wissensvermittlung hinaus. Sie hat eine konkrete Richtung: die „Akzeptanz“, als Steigerung der bislang gebräuchlichen „Toleranz“. Tolerieren kann ich aus der Ferne, ich muß es aber nicht gut finden oder gar verstehen, wenn Menschen anders sind als ich. Akzeptanz verlangt mehr. Verlangt ganz nach der lateinischen Übersetzung „gutheißen, annehmen, billigen“, daß ich meine Meinung aufgebe. Für gut befinden, was ich vorher möglicherweise für schlecht befand. Akzeptanz fordert eine Meinungsänderung.

Das wiederum ist nicht Aufgabe der Schule, die sich mit diesem Bildungsplan über die Erziehung der Eltern hinwegsetzt – und schon gar nicht, wenn sie damit einen Konsens herbeizwingt, der weder gesellschaftlich noch wissenschaftlich gegeben ist, wie nicht zuletzt die aktuelle Debatte sehr anschaulich zeigt.

 

Birgit Kelle ist Journalistin und Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus sowie Mitglied der New Women for Europe.

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