© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Griff zum Füllhorn
Große Koalition: Trotz zahlreicher Warnungen vor den Folgekosten hält die Bundesregierung an ihren Rentenplänen fest
Paul Rosen

Sie werde die Steuern nicht erhöhen, hatte die Union im Wahlkampf 2013 versprochen. Das ist längst Geschichte. Nachdem die bereits beschlossene Senkung der Rentenversicherungsbeiträge für 2014 gestoppt wurde, so daß den Arbeitnehmern eine Entlastung bis zu 214,20 Euro jährlich entgeht, legt die Große Koalition jetzt richtig los. In der Rentenversicherung sollen Wohltaten beschlossen werden, die auch der kommenden Generation einen milliardenschweren Kostenblock aufbürden werden. Die jetzt anlaufende Operation hat nur ein Ziel: Die Wähler sollen durch eine Politik maßloser Sozialleistungsverbesserungen bei der nächsten Wahl von der Flucht zu oppositionellen Kräften wie der Alternative für Deutschland (AfD) abgehalten werden.

Die Europawahl am 26. Mai gilt als besonders schwierig. Die Fünfprozenthürde ist bereits gefallen, was die Pfründe der Bundestagsparteien gefährdet und die Chancen der außerparlamentarischen Konkurrenz erhöht. Die hastig eingeführte Dreiprozenthürde steht auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts und könnte ebenfalls kippen.

Eltern werden systematisch benachteiligt

Da lohnt sich aus Sicht der Großen Koalition der Griff zum Füllhorn. Sowohl Union wie SPD sind entschlossen, ihre zentralen Versprechen in der Rentenpolitik noch vor dem Europawahltermin umzusetzen: Die CDU/CSU will die „Mütterrente“ einführen. Damit soll die rentenrechtliche Anerkennung der Erziehung von Kindern, die vor 1992 geboren sind, verdoppelt werden. Erwartet werden ab 2015 zusätzliche Kosten von 6,5 Milliarden Euro jährlich. Diese Summe dürfte in späteren Jahren noch weiter steigen. Auf Druck der SPD will die Koalition langjährig Versicherten mit 45 Versicherungsjahren einen Rentenbeginn mit 63 Jahren ermöglichen. Als Beitragszeiten sollen auch Erziehungszeiten, Zeiten der Pflege sowie der Arbeitslosigkeit (ohne Zeiten mit Hartz-IV-Bezug) gelten. Dies dürfte bis zu drei Milliarden Euro im Jahr kosten. Daneben werden durch die Rentenpläne auch die Krankenkassen bis 2017 mit 2,2 Milliarden Euro belastet, obwohl sie ohne steigende Defizite erwarten.

Die Regierung wiegelt ab: Wenn man die Gesamtausgaben für die Rentenversicherung von 253 Milliarden Euro betrachte, „dann ist der Anteil der Maßnahmen, über die wir in dieser Legislatur sprechen, gerade mal drei Prozent“, versuchte Regierungssprecher Steffen Seibert den Kostenblock kleinzureden. Ältere Mütter hätten diese Verbesserungen verdient. Dagegen steht der Grundsatz, daß jeder Euro, der ausgegeben wird, auch finanziert werden muß. Angesichts der Rekordhöhe von Steuern und Abgaben und des zunehmenden Alters der Bevölkerung ist das Draufsatteln bei den Sozialausgaben mehr als problematisch. Zumal es nicht um Kleinigkeiten geht. Trotz der auf die Beitrags- und Steuerzahler zukommenden Milliardenlasten winden sich selbst wirtschaftsnahe Unionspolitiker wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs, wenn sie ein Wort der Kritik äußern sollen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) müsse sagen, wo das Geld herkommen solle, sagte Fuchs.

Der stellvertretende AfD-Sprecher Alexander Gauland sprach dagegen von einem skandalösen Griff in die Rentenkassen. Bis 2020 würden Mehrkosten von 60 Milliarden Euro entstehen. Bis 2030 sollen allein die Mehrkosten für die Mütterrente rund 125 Milliarden Euro betragen, berichtete die Welt unter Berufung auf Zahlen der Deutschen Rentenversicherung. Das sei wesentlich mehr, als die Rente mit 67 an finanzieller Entlastung bringen werde. Zudem werde durch die abschlagsfreie Rente ab 63 ein weites Feld für Frühverrentungen geschaffen. „Nahles hat eine finanzielle Zeitbombe gelegt, die erst hochgehen wird, wenn diese Regierung längst nicht mehr im Amt ist“, stöhnte die Mittelbayerische Zeitung.

Aus Sicht nachfolgender Generationen erscheint die Rentenpolitik der Großen Koalition völlig verantwortungslos. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab, daß ein 2000 geborenes Kind im Laufe seines Lebens rund 77.000 Euro mehr in die Rentenkassen einzahlen muß, als es selbst jemals herausbekommen wird. Diese Kinder müssen nicht nur für ihre Eltern die Renten zahlen, sondern zugleich für die immer zahlreicher werdenden Kinderlosen sorgen. Die Studie weist nach, daß Eltern durch das System der gesetzlichen Rentenversicherung systematisch benachteiligt werden.

Hinzu kommt: Die Arbeitnehmer in Deutschland (und damit auch die Eltern) leben seit Jahren mit schrumpfenden Nettoeinkommen, weil der Staat immer mehr von den Gehältern abzieht. Zwischen 2000 und 2010 fielen die Realeinkommen um 4,2 Prozent. Dafür stehen dem Bund in diesem Jahr fast 100 Milliarden Euro mehr Steuern zur Verfügung als zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode. „Steuersenkung“ ist aber für die politische Klasse das Unwort des Jahrzehnts.

Kommentar Seite 2

Foto: Bundeskanzlerin Merkel, Vizekanzler Gabriel: Angst vor der Europawahl

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