© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Das Recht in die eigene Hand nehmen
Mexiko: Bürgerwehren zwingen die Regierung im Kampf gegen die organisierte Kriminalität zum Handeln
Paul Leonhard

Die Selbstverteidigung wird die Waffen nicht niederlegen.“ Die im Internet verbreitete Botschaft ist eindeutig. Man werde kämpfen, bis die Führer der organisierten Kriminalität gefaßt sind. Seit reichlich einem Jahr wehren sich Bürgermilizen im mexikanischen Bundesstaat Michoacán gegen die Drogenkartelle. Weil es weder lokaler Polizei noch Bundesregierung gelungen ist, die Macht der Kartelle zu brechen, haben die Menschen selbst zu den Waffen gegriffen, um den Erpressungen, Entführungen und dem Morden ein Ende zu bereiten.

Die Bürgerwehren hatten sich vor einem Jahr im Südwesten des Landes gebildet und waren lange Zeit von der Zentralregierung geduldet worden. Inzwischen drohen die Kämpfe aber zu eskalieren. Weltweit warnen Kenner Mittelamerikas vor einem ausbrechenden Bürgerkrieg, der ganz Mexiko erfassen könnte.

Polizei und Militär werden der Lage nicht Herr

Die Deutsche Botschaft mahnt bei Reisen zur Vorsicht: „Aufgrund anhaltender bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Angehörigen der organisierten Kriminalität in Michoacán wird geraten, sich vor einer Reise in diesen Bundesstaat sowie die Grenzgebiete der angrenzenden Bundesstaaten Jalisco, Guerrero und Colima vorab gründlich über die Lage am Reiseziel und den Reiseweg dorthin zu informieren.“ Und der Vorsitzende der Menschenrechtskommission von Michoacán, Cázares, bezeichnete die Region Tierra Caliente als eine der gefährlichsten des Landes und forderte die Regierung auf, gegen die bewaffneten Zivilisten wie gegen Kriminelle vorzugehen, um der sich ausbreitenden Gewalt Herr zu werden.

Nach der Eroberung der Stadt Nueva Italia, bei der es zu heftigen Feuergefechten gekommen sein soll, sind die Bürgerwehren gegen das strategisch wichtige Apatzingán vorgerückt. Die 100.000-Einwohner-Stadt gilt als Hochburg des Drogenkartells „Caballeros Templarios“. Die Tempelritter hatten die Bewohner in der Tierra Caliente jahrelang mit Abgaben belegt und terrorisiert, ohne daß der Staat von den Erpressungen, Verschleppungen und Morden Notiz nahm. Nachdem die Tempelritter erneut die an sie zu zahlenden Steuern erhöht hatten, bildeten sich Anfang vergangenen Jahres Selbstverteidigungskräfte.

Als Reaktion schickte die Bundesregierung im Mai Tausende Soldaten und Bundespolizisten in den Teilstaat. Diese sollten sowohl die Kämpfe rivalisierender Drogenbanden beenden, als auch die Bürgerwehren entwaffnen oder wenigstens demobilisieren.

Da das Militär aber die Drogenkartelle nicht zerschlagen konnte, kam es vielerorts erneut zur Gründung von „Policias comunitarias“ (Polizei der Gemeinschaft). „Wir sind nicht einfach eine Gruppe Bewaffneter, sondern die Selbstverteidigung besteht aus Geschäftsleuten, Bauern, Bürgermeistern, Stadträten, Gärtnern, Studenten, einem geeinten Volk“, heißt es im Internet. „Wir haben zu den Waffen gegriffen, weil die Polizei keine ausreichenden Maßnahmen getroffen hat, um für Ruhe in dem durch Drogenkartelle kontrollierten Bundesstaat zu sorgen“, sagte Hipólito Mora, einer der Anführer.

Bürgerwehren haben in Mexiko Tradition. Immer wenn die Kraft des Zentralstaates nicht ausreichte, vor Ort Ruhe und Ordnung herzustellen, griffen Einwohner zu den Waffen. „Eine Art Gemeindepolizei kann ein guter Weg beim Kampf gegen die Unsicherheit sein, aber sie sollten legal sein und mit der Regierung zusammenarbeiten“, heißt es in einer Analyse des Forschungsinsituts International Crisis Group: „Gruppen, die das Recht in die eigene Hand nehmen, sorgen nur für mehr Menschenrechtsverletzungen und Blutvergießen.“

Hatte Mexikos Innenminister Miguel Ángel Osório Chong unlängst noch angekündigt, die Bürgerwehren legalisieren zu wollen, hat sich diese Einstellung mit der Offensive der Milizen auf Apatzingán geändert. Die Entwicklung in Michoacán bereite Sorgen, und man werde wie in Veracruz, Tamaulipas und anderen Bundesstaaten die Ordnung wiederherstellen, versicherte der Innenminister. Die Bürgerwehren würden außerhalb der Rechtsordnung stehen und von der Regierung nicht anerkannt. Sollten sich die Milizen nicht zurückziehen und die Waffen niederlegen, würden sie entwaffnet und festgenommen.

Herkunft der Milizwaffen liegt im dunkeln

Unklar ist, woher die Bürgerwehren ihre modernen Waffen, ihre Logistik und Fahrzeuge beziehen. Die Milizen seien durchdrungen von Mitgliedern rivalisierender Banden, vermutet Esteban Barragán. „Niemand weiß genau, wer alles in den Konflikt verwickelt ist“, zitiert die New York Times den Professor, der an der Universität Michoacán in Zamora lehrt: „Wer ist hier noch einfaches Mitglied einer Bürgerwehr, wer gehört zu den Kartellen und wer zieht einfach einen Nutzen aus der chaotischen Lage, um seinen persönlichen Streit auszutragen?“

Auch die Deutsche Welle stellt in einem Beitrag fest: „Wer gut und wer böse ist, läßt sich auf den Straßen von Apatzingán schon länger nicht mehr richtig unterscheiden.“

Inzwischen rollte nach Angaben der Agentur AFP ein Konvoi von 200 Armee- und Polizeifahrzeugen in Apatzingán ein und entwaffnete die städtische Polizei, der Zusammenarbeit mit den Drogenbanden vorgeworfen wird. Die Regierung will ihr Gewaltmonopol endlich durchsetzen.

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