© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Einer, der sich nicht festlegen ließ
Nachruf: Freunde und Wegbegleiter erinnern an Wilhelm Hankel, der jahrelang vor dem Scheitern des Euro gewarnt und die Krise vorausgesehen hat
Joachim Starbatty

Mit Wilhelm Hankel ist ein begnadeter Volkswirt von uns gegangen. Er war ein Wanderer zwischen zwei Welten. Er genoß eine herausragende akademische Ausbildung an den Universitäten Mainz und Amsterdam, wo er in Jan Tinbergens berühmtem Centraalplan-Bureau seine Doktorarbeit konzipierte. Danach ging er zur volkswirtschaftlichen Abteilung der Bank Deutscher Länder, der Vorläuferorganisation der Deutschen Bundesbank.

Weil er dort bloß als „Rechenknecht“ – so charakterisierte Hankel seine Tätigkeit – gebraucht wurde, wechselte er in das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, wo er mit der Arbeit internationaler Organisationen und der Europäischen Zahlungsunion vertraut wurde. Dort hat er auch die Entstehung des Systems der dynamischen Rente – den sogenannten Schreiber-Plan – vorbereitet und begleitet. Als Chefvolkswirt der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) half er, diese zu einer internationalen Adresse zu machen.

Er erklärte komplexe Phänomene in einem Satz

Schließlich gewann ihn Karl Schiller, Wirtschaftsminister der großen CDU/CSU/SPD-Koalition von 1966 bis 1969 und der nachfolgenden SPD/FDP-Koalition, für die Leitung seiner zentralen Abteilung „Geld und Kredit“. Er war der Star unter den Mitarbeitern Karl Schillers. Auf einer Pressekonferenz erklärte er das komplexe Phänomen steigender Aktienkurse bei schwacher Konjunktur mit einem einzigen Satz: „An den Börsen wird auch Liquidität gehandelt.“

Wegen der Bindung der D-Mark an den Dollar war die Bundesbank Anfang der siebziger Jahre gezwungen, über den Ankauf von Dollars die inländische Liquidität auszuweiten. Diese Liquidität floß auf die Aktienmärkte, wo sie die Kurse nach oben trieb, und auf die Immobilienmärkte. Damals sprach man vom „Betongold“. Dasselbe erleben wir derzeit: Mario Draghis faktische Null-Zins-Politik beschert den Aktienmärken eine kräftige Hausse und pumpt eine Blase auf den Immobilienmärkten auf.

Als im Frühjahr 1971 die Liquiditätsüberschwemmung aufgrund der Dollarinterventionen überhand zu nehmen drohte und die Geldwertstabilität in Gefahr brachte, entschied sich Karl Schiller – nach intensiver Beratung mit Wilhelm Hankel –, die Dollarinterventionen auszusetzen.

Am 9. Mai 1971 stoppte ein Anruf Wilhelm Hankels bei der Bundesbank die Interventionen. Damit war das zuvor für undenkbar Gehaltene Wirklichkeit geworden: Die D-Mark hatte sich vom Zwangskorsett der Dollarbindung befreit und floatete.

Ludwig Erhard nahm ihn in Schutz gegen die Union

Die Angriffe besonders aus Frankreich, aber auch seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, waren scharf und heftig. Damals sprang Ludwig Erhard seinem Amtsnachfolger bei: Nur wenn die Geldwertstabilität der D-Mark im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung gesichert sei, könne das europäische Aufbauwerk gelingen. Dieses Ereignis war ein Schlüsselerlebnis für Wilhelm Hankel. Es hat seine Einstellung zur Europäischen Währungsunion maßgeblich geprägt.

Nach einem Intermezzo als Präsident der Hessischen Landesbank war Hankel ein weltweit gesuchter Berater für Bank-, Geld- und Währungsfragen. Doch hielt er immer engen Kontakt zur Wirtschaftswissenschaft. Er übersetzte die Lehrbücher zur Dogmengeschichte und zur Entwicklungspolitik seines Lehrers L. J. Zimmerman aus dem Holländischen sowie das weltweit verbreitete Lehrbuch „Economics“ von Paul A. Samuelson. Der Doyen der Volkswirtschaftslehre, Fritz Neumark, gewann Hankel für entwicklungspolitische Seminare an der Universität Frankfurt am Main. Ihr ist er auch später als Honorarprofessor treu ge blieben. Sein wissenschaftliches Interesse drückte sich in einer Vielzahl von Monographien aus, die von der Geld- und Währungspolitik bis zur ökonomischen Ideengeschichte reichen. Der Leser spürt auch hier die tiefe humanistische Bildung Wilhelm Hankels.

Er war als homo politicus und homo contemplativus unverbesserlich skeptisch gegenüber letzten Wahrheiten von Wissenschaftlern und Politikern. Er lerne von denen, sagte er, die die Lage von einem anderen Blickwinkel oder von einem anderen normativen Standort aus anschauten, und nicht von denen, die das sagten, was er schon wisse.

Er ließ sich auch – bei aller Treue zu seiner grundsätzlichen Überzeugung – nicht auf eine bestimmte Linie festlegen. Immer wieder blitzten Ideen und Gedanken auf, die auch für ihn selbst neu und überraschend waren. Nicht alle hatten Bestand, doch haben viele unser Denken bereichert und geformt. Es war für Wilhelm Nölling, Karl Albrecht Schachtschneider und mich ein Geschenk, daß wir zusammen die Klageschriften gegen die voreilige Einführung des Euro und gegen die Brüche der Europäischen Verträge erarbeitet haben.

Die starke Beachtung, die unsere einschlägigen Schriften und Aktionen gefunden haben, war nur durch unser herzliches Einvernehmen – getragen von der Sorge um Deutschland und Europa – möglich. Wir haben zusammen gegen den Einheitseuro gefochten, weil er die europäischen Staaten in ein Korsett zwingt – sowohl die Gläubiger wie die Schuldnerländer – und sie einer eigenständigen nationalen Entfaltung beraubt.

Wilhelm Hankel war ein deutscher und europäischer Patriot. Mit seiner sonoren Stimme, seinem Scharfsinn, seinem Witz, der gelegentlich auch sarkastisch sein konnte, ja mit seinem Charisma hat er seine Gesprächspartner und Zuhörer gefesselt und überzeugt. Wilhelm Hankel hing an seinem humanistischen Europa; deshalb kämpfte er gegen den Einheitseuro. Seine Freunde, seine Leser und alle, die das freiheitliche Europa lieben, werden ihm die Treue halten.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty hat zusammen mit Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Karl Albrecht Schachtschneider vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen die Euro-Einführung und die Griechenlandhilfe geklagt.

 

Wilhelm Hankel

Wilhelm Hankel wurde 1929 in Danzig-Langfuhr geboren. Von 1959 bis 1967 war der Sozialdemokrat Chefvolkswirt der KfW und von 1972 bis 1974 Präsident der Helaba. Hankel gilt als einer der Erfinder der Bundesschatzbriefe. Er lehrte später unter anderem an der Harvard-Universität. Er hatte stets vor der Einführung des Euro gewarnt und war mehrfach gegen die Euro-Rettungspakete vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. 15 Jahre lang war er ein geschätzter Gesprächspartner und Autor der JUNGEN FREIHEIT. Erstmals gab er der Zeitung 1998 ein Interview (JF 46/98), in dem er die Niedrigzins-Politik Oskar Lafontaines kritisierte. Genau diesem Thema widmete er sich in seinem letzten Kommentar (JF 2/14): Darin beklagte er eine „Verkrustung der Gesellschaft“ durch zu niedrige Zinsen. Seinen letzten großen Auftritt hatte er auf dem Stand der JF bei der Frankfurter Buchmesse, wo er sein Buch „Die Eurobombe wird entschärft“ vorstellte. Für Aufregung sorgte damals seine Charakterisierung des EZB-Chefs Mario Draghi als „Erzgauner“. (ho/rg)

 

Zitate

Wilhelm Hankel war eine sittliche Persönlichkeit im besten Sinne der Aufklärung. Seine theoretische und praktische Vernunft, seine Erkenntnisse zu Volkswirtschaft und Politik werden uns schmerzlich fehlen. Mit Wilhelm Hankel verbindet mich eine tiefe Freundschaft. Er war und ist mir Lehrer und Vorbild. Wir wollten noch lange für Recht und Vernunft kämpfen. Er hat uns viel zu früh verlassen.

Prof. Dr. Karl A. Schachtschneider, Jurist

 

Er hat schärfer als andere die Konsequenzen der Einheitswährung vorhergesehen – das war die im guten Sinne sozialdemokratische Seite seines Patriotismus. Das Lager der Euro-Skeptiker hat einen Vordenker verloren.

Dr. Bruno Bandulet, Publizist

 

Im Juni 2010 traf ich ihn persönlich bei einer Podiumsdiskussion über den Euro. Wortgewaltig bezeichnete Hankel den Euro als „verfehltes Währungsexperiment“. Meine Verteidigung des Euro war eher lau. Die Runde ging an ihn.

Dr. Thomas Mayer, Deutsche Bank

 

Wilhelm Hankel war ein sehr angenehmer, freundlicher Mensch. Gegenüber der Österreichischen Schule war er offen, zitierte oft Böhm-Bawerks „Macht oder Ökonomisches Gesetz“. Die Nachteile des Euros für die Deutschen erkannte er klar. Wilhelm Hankel: Ruhe in Frieden.

Prof. Dr. Philipp Bagus, Universität Madrid

 

Foto: Wilhelm Hankel: „Immer wieder blitzten Gedanken auf, die auch für ihn selbst überraschend waren“

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