© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Mit Mördern leben
Kino: Der Dokumentarfilm „Blick in den Abgrund“ beleuchtet die Arbeit von sechs Profilern
Sebastian Hennig

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Um dieses Zitat von Friedrich Nietzsche ist der Dokumentarfilm „Blick in den Abgrund“ von Barbara Eder herumgestrickt. Sie hat Profiler, Forensiker und Psychiater begleitet.

Helen Morrison aus Chicago träumt davon, lebenden Mördern Elektroden ins Hirn zu schieben. Sie ist in der Beschäftigung mit dem Bösen längst von diesem besessen. Der Kampf mit Ungeheuern hat sie selbst zum Ungeheuer werden lassen. Ein Ungeheuer in Gestalt eines Scheusals über dessen Schreibtisch die Plakette „America’s Top Psychiatrist“ hängt. Aus ihrem gelifteten Face stieren Echsenaugen. Mit einem jungen Mann befummelt sie das in Scheiben zerteilte Gehirn eines Serienmörders. Wo sitzt denn nun das Böse? Das Hirn ist augenscheinlich völlig gesund, wenn auch tot. Ihr Gatte, der gleichfalls vom Fach zu sein scheint, weist Eingriffe an Gefängnisinsassen als ethisch bedenklich zurück. Der Fortschritt ist auf verlorenem Posten: „Nicht mal mein eigener Mann!“

Hoffnung für die Menschheit geht auch von Gérard Labuschagne in Pretoria aus. Auf ihn paßt gut ein anderes Nietzsche-Wort: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ Er hat als 29jähriger den Dienst angetreten und berichtet davon, daß viele in einer solchen Situation soviel gesehen haben, daß sie die Arbeit nicht mehr interessiert. Er macht es nun zehn Jahre, und nach weiteren fünf mag es sein, daß er ebenfalls genug hat.

Der Mann ist so rätselhaft wie das Geschehen, das ihn umgibt. In seiner Abteilung im Polizeipräsidium in Pretoria arbeiten nur Weiße. Uniformierte Schwarze geleiten ein weißes Mörder-Paar, für das Labuschagne ein Gutachten erstellen mußte, in den kargen Gerichtssaal. Die junge Frau träumte seit ihrer Kindheit davon, einen Menschen zu häuten, um zu sehen, was sich hinter seinem Gesicht verbirgt. Einer ihrer frühen Träume beginnt so: „Ich hatte nichts anzuziehen ...“

Nun sitzt die Frau mit ihrem Komplizen auf der Anklagebank, prangt dort wie eine reuige Magdalena mit ihrem langen Haar und dem bebenden Antlitz, während sie hören muß, was wahrheitsgemäß über sie berichtet wird.

Ein deutscher Kriminalhauptkommissar fährt in die Psychiatrie nach Lippstadt, um den überführten Vergewaltiger und Mörder Klaus Dieter S. auszufragen. Auf die Frage, wie er die Person, die er im Dunkel überfiel, als Frau wahrgenommen habe, feixt der selig nachgenießend: „Klack klack klack, die Schuhe.“ Wie er bemerkte, daß er sie totgewürgt hat? „Ja, man hat doch Fernsehen, sieht man doch in Filmen, wenn man’s erwürgt.“

Die FBI-Kollegen sind triste Gestalten. Sie haben Stoff für den Film „Das Schweigen der Lämmer“ geliefert. Eine finnische Frau vom Fach wirkt permanent überfordert. Was sie bewältigen müßte sitzt sie aus, telefoniert und plaudert über ihr Befinden.

Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Präsentation des Grauens eine klandestine Taktik der Angstlähmung einer ganzen Gesellschaft beinhaltet. Das zur Schau gestellte Entsetzen der Personen in dem Film geht mehr auf die Nerven als das grauenhafte Geschehen. In Lateinamerika und Südafrika hat die Bestialität eine Landläufigkeit erreicht, die zu Kühle und Trockenheit zwingt, um die Situation zu beherrschen.

So ist Gérard Labuschagne der unbestrittene Held dieses Films. Er sagt es klar: „Wir haben mit Serienmördern mehr gemeinsam als nicht.“ Er macht eine einfache Rechnung: Selbst eine Person, die 16 Menschen umbrachte, hat bei zwei Stunden je Mord nicht mehr als 32 Stunden ihres Lebens damit verbracht. Den Rest tut er das gleiche wie unsereiner.

Mord ist immer Angriff auf jeden Menschen. Er reißt die Grenzen nieder. Das Recht zur Todesstrafe ist den Monarchien nachgestorben. Bei der Ratlosigkeit, in der wir uns nun befinden, verbietet diese sich absolut. Und so grinsen uns die Monumente des Mordes an, wie Klaus Dieter S. mit seinem weichen sächselnden Akzent. Wir müssen sie ertragen, bis sich vielleicht irgendwann ein Ausweg öffnet. Über Elektroden führt er bestimmt nicht.

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